HAMBURGER SZENE VON PETRA SCHELLEN : Tour de Hambourg
Wer sich aufs Rad schwingt, wird fröhlich. Das sagt einem jeder Physiotherapeut, jeder Psycho-Fritze und, natürlich, alle Fahrradhändler. Außerdem bemerkt man es ja auch selbst: Kaum sitzt man nach langem Winter und Regenfrühling auf dem Rad, dessen Reifen man in den letzten 6 Wochen dann auch endlich geflickt hat – schon wird man munter! Schaut beglückt ins Geäst der Bäume, lächelt sogar den Griesgram an der Ampel an und freut sich seines neuen Sportlerlebens. Erst recht an einem der seit Kurzem auch in Hamburg herrschenden sonnigen Wochenend-Nachmittage. Und eigentlich sollte man meinen, dass alle anderen genauso friedlich und fröhlich werden.
Aber das stimmt nicht. Bei mir um die Ecke zum Beispiel ist ein schmaler Radweg, der sich zwischen den – statisch völlig überflüssigen Säulen – irgendeines Möbelladens durchschlängelt. Da muss man schon aufpassen – auch dann, wenn alle vorschriftsmäßig in derselben Richtung fahren.
Trotzdem gibt es für den entschlossenen Fahrrad-Aggressoren natürlich Möglichkeiten. Er kann zum Beispiel, von der Straße kommend, frontal auf die dichte Radler-Reihe zurasen. Das schafft auch die harmlos wirkende Frau im hellblauen Niedlichkleidchen, die sich auf dem Rad plötzlich wie Superman fühlt. „Bleib mal locker“, schreit sie höhnisch, als ich sage, sie solle mir nicht in die Speichen fahren. Ach ja, ich vergaß: Der Angegriffene ist das Problem, nicht der Aggressor.
Das ist eine interessante Denkungsart, die sich methodisch ausbauen lässt. Niedlichkleidchens Begleiter nämlich, in mäßig eleganten fangogrünen Bermudas, schlägt meinen Hintermann ganz direkt, als der „Achtung, bitte nicht schneiden“ ruft.
Solch geballte Wut überrascht nicht nur angesichts des, wie gesagt, lauen Sonnentages. Der Vorfall gibt auch zu denken bezüglich der Gepflogenheiten in dieser virtualisierten Welt. Denn dass man im Internet pöbelt, alles als erster und sofort haben und ausagieren will: Geschenkt. Dass man das aber auch im Echtleben praktiziert, ist zwar nicht neu. Aber es hat mehrere neue Aspekte: Der Aggressor zeigt sich erstens live, das ist mutig. Er wähnt sich, zweitens, im Recht, das ist unschlau und reaktionär. Und er tippt, drittens, nicht mit schwächlichen Fingerlein auf einer Tastatur herum, sondern holt die Faust raus und nutzt Muskeln, die man längst verkümmert glaubte.
Letzteres ist für den Verprügelten zwar nicht so gut. Für die Evolution des Homo sapiens aber sehr wohl. Denn sicher wird man zupackende Hände dereinst wieder brauchen – für Ackerbau und Viehzucht, wenn der Strom mal alle ist. Dann, wenn die Maschinen tot sind und der Mensch wieder alles selbst machen muss.