HAMBURGER SZENE VON MORITZ KOHL : Die Sperrstunde
Es will mir nicht so recht gelingen, die vielen Lichter rund um die Binnenalster zu genießen. Die Enten schwimmen am Ufer entlang, die Alsterfontäne sprudelt. Aber das macht alles nur noch schlimmer.
Ich beschleunige meinen Schritt in den immergleichen U-Bahn-Schacht. Die Tageszeit kann man jetzt nur noch an der Menge der Menschen ausmachen. Und an deren Zustand. „Irgendwo hier muss es doch sein“, denke ich. Ich versuche es mit den Schildern. Weiße Schrift und kleine Symbole auf blauem Grund. Alle erdenklichen Ziele sind ausgeschildert, alles idioten- und touristensicher. Hastig rolle ich die Rolltreppen runter und wieder rauf.
Endlich am Ziel. Eine ältere Dame mit Zahnlücke hat sich in der Tür aufgebaut. „Jetzt ist aber wirklich Schicht im Schacht!“, meckert sie, ohne zu merken, wie passend die Redewendung hier unten ist, „Sperrstunde war schon vor ’ner halben Stunde!“
Einige der Umstehenden schütteln die Köpfe, eine junge Frau zieht ihre unzufrieden drein blickende männliche Begleitung die Treppen hinauf. Ich höre sie noch so etwas wie „Die spinnen doch!“ murmeln.
Verzweifelt kehre ich zum Ausgangsort meiner Suche zurück – und entdecke doch glatt einen abgeschiedenen Grünstreifen, der mich zu einer kleinen, aber erleichternden Ordnungswidrigkeit einlädt.