HAMBURGER SZENE VON BENJAMIN KNAACK : Die durstigen Samariter
Es war ein denkbar schlechter Start in den Tag. Dabei wollte ich doch nur das Pfandgeld meiner Eltern klauen. Jetzt drehen die Reifen im Schnee durch. Der Getränkemarktbesitzer händigt mir widerwillig eine Schneeschaufel aus. Sein Misstrauen lässt vermuten, dass er schon oft Opfer von Ladendiebstählen geworden ist.
Doch auch die Schippe bringt keinen Erfolg. Auf einmal ein Wunder: Helfer kommen aus allen Himmelsrichtungen. Erst einer, dann zwei, vier, sechs insgesamt. Anweisungen werden gebrüllt: „Fahr nach links!“ – „Schlag rechts ein!“ –„Langsam kommen lassen!“ – „Schneller!“ Die Kommandos sind so widersprüchlich wie vielfältig.
Der Helfer auf der linken Seite riecht nach Spirituosen, der rechts einfach nur nach Bier. Die Fahrtüchtigkeit der Engel darf in Zweifel gezogen werden, der samaritische Wille jedoch ist rein. Dass ein Helfer mehrmals auf die Schaufel tritt, die der missmutige Getränkehändler nicht aus den Augen gelassen hat, ist jetzt egal – ich reagiere nicht auf die empörten Rufe aus dem Geschäft. Das Auto muss raus.
Und dann gelingt es. Der Wagen ist frei, der Tag kann weitergehen. Die Trinker gehen stolz und zufrieden ihrem Tagesgeschäft nach, ich fahre weiter. Die Höflichkeit hätte es wohl geboten, dass ich den Helfern ein Bier ausgebe – doch die Pfandflaschen brachten nur 8 Euro 15 ein.