Guter Wille und Rassismus bei einem dänischen Flüchtlingshelfertreffen: Warmer Kaffee und der Berg von Lärm
Vogelfluglinie
von Rebecca Clare Sanger
Dass das Treffen des Integrationsrates von Vordingborg mit dem Tag zusammenfällt, an dem im Parlament das „Smykkelov“ durchgewunken wird, liegt nicht an einem Gefühl für politisches Timing, welches dem Integrationsrat innewohnt, sondern wohl eher an Inga Støjberg. Zu Deutsch Lärmberg, Hügel von leerem Geplapper. Das erste Mal, als ich sie im Fernsehen wahrnahm, stand sie im Nachrichtenprogramm in Rødby auf den Zugschienen und wunderte sich über den „Fußgängeraufmarsch“. Ich hielt sie für eine schlecht vorbereitete Fernsehjournalistikpraktikantin. Aber seitdem macht sie den Mund kaum noch zu, und der ganze Lärm hat kaum zu ertragende Konsequenzen.
Nach einer Dreiviertelstunde der Radioübertragung trete ich also durch die Türen des Rathauses – gleich neben der unbenutzten, abgelegten Halle des Kviklysupermarktes; ich betrete den hell erleuchteten Raum, wo Kaffee, Brause und dicke Schinken- und Thunfischsandwiches aufgebaut sind. Ich bekomme mein Namensschild; ich sehe auf die anderen Menschen mit Namensschildern, wir haben hier alle mit Integration zu tun; ich atme den guten Willen ein und Tränen steigen mir in die Augen – und das war‘s.
An diesem Abend wird sich weder zur Begrüßung noch im Programm, weder in der Pause noch in den Arbeitsgruppen über die drei Jahre unterhalten, nach denen die Familien erst nachkommen dürfen, oder über den Schmuck, den man den Flüchtlingen abnehmen wollte, oder über die 750 Euro für ein alleinstehendes Elternteil mit bis zu drei Kindern – vielmehr sollen die freiwilligen Arbeiter der Wohltätigkeitsorganisationen lernen, die Formulare für Möbel und Sportclubs richtig auszufüllen. Das haben sich die Kommunemitarbeiter gewünscht, die auch an einem der runden Tische sitzen, und ab und zu mit den Augen rollen, wenn sich eine Dame vom Roten Kreuz erhebt: „Was ist mit dem Schimmel in den Unterkünften in Faxevej?“ – „Ja, da sollen die mal lernen, richtig auszulüften, wir erwägen auch, ein paar Hygiene- und Kochkurse für die Männer da zu organisieren.“
Und obwohl sich den Vertretern der Freiwilligenorganisationen die Nackenhaare aufstellen bei dem Vorschlag des staatlichen Auslüftungsgebots, so können sie sich doch wieder mit den Kochkursen identifizieren. Kochkurse, Häkelkurse, ein paar Sportkurse vielleicht – und im Übrigen hat auch noch jeder ein Stück seines verwilderten Gartens anzubieten, der für die Flüchtlinge und ihre Gemüseproduktion wie gemacht erscheint.
Die Dänische Flüchtlingshilfe ist auch vertreten, mit dem Dänischen Roten Kreuz sitzt sie – sieh mal einer an – nicht am gleichen Tisch, und das mit dem Gemüsegarten hat der Abteilungschef der Dänischen Flüchtlingshilfe Vordingborg schon zu Genüge gehört. Darum beeilt er sich, seine Arbeit mit Traumageschädigten zu erwähnen – in beiläufigem Ton, der aber abfällig klingt. Das ganze Land rauf und runter ist er unterwegs: Trauma, Missbrauch, Inzest, Suff – und manchmal mischt sich das Ganze auch und es ist dann doch nicht das Trauma, sondern nur alltägliche Faulheit und Suff, die vom Eintritt in den Arbeitsmarkt abhalten. Sein Tischnachbar ist der Vorgesetzte der Integrationsabteilung vom Arbeitsamt, so haben die beiden zum Glück für den Rest des Abends ein gemeinsames Thema.
Wohl ums Herz wird mir bei dem Einsatz der alten Damen, die, sei es selbst organisiert, sei es fürs Rote Kreuz, Möbel, Kinderbetreuung, Hausaufgabenhilfe, gemeinsame Kinobesuche und Grillnachmittage organisieren. Natürlich ist ihre Arbeit nützlich! Aber dennoch: Solange das obligatorische Sandwich nicht fehlt bei solchen Treffen, solange der Kaffee warm und die Brause umsonst ist, ist der Rahmen für politische Passivität gesetzt. So kann man den Leuten Stickstoff in den Kaffee mischen und Rassismus ins Wurstbrot. Die kleinen Organisationen und Vereine kümmern sich um ihre Vereinsminuten und holen sich brav Führungsregister von der Polizei, um im geordneten Rahmen mit Flüchtlingen Kaffee zu trinken.
Unterdessen sammelt an den dänischen Grenzübergängen der Berg von Lärm Berge von Telefonen – und alle machen mit.
Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht 14-täglich an dieser Stelle. Einen Band mit „Hamburger Szenen“ aus der taz hat der Verlag Michason & May veröffentlicht.
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