■ Gurke des Tages: Der Deutsche
Das häufigste Wort der Olympischen Spiele von Barcelona? Ganz klar: „deutsch“!
Egal zu welchem Zeitpunkt Fernsehgerät oder Radio eingeschaltet wurden, die Rede war von deutschen Medaillen, deutschen Hoffnungen, deutschen Mißerfolgen, deutschen Chancen. Deutsch quoll aus jeder Zeile, jeder Überschrift, deutsch war in aller Munde. Und gelang es tatsächlich mal einer vorwitzigen nicht-deutschen Athletin, einem Sportler aus einem anderen als dem schwarz- rot-güldenen Vaterland durch so etwas Profanes wie einen Olympiasieg kurzzeitige Aufmerksamkeit zu erheischen — zack, kam, mitten in den Jubel oder die Zeitlupenwiederholung, schon wieder der brutale Umschnitt: „Ich sehe, unser Kollege steht bei unserer deutschen Sprinterin XY, die gerade die Qualifikation für den Zwischenlauf geschafft hat.“ Spannendste Volleyballspiele oder Boxkämpfe wurden rabiat unterbrochen: „Wir schalten an die Kanustrecke zur Siegerehrung unserer deutschen Silbermedaillengewinner.“
Was haben sie auch gedarbt, die guten alten West-Reporter. Noch vor vier Jahren in Seoul gab es für sie nur magere 40 Medaillen zu feiern, während die sozialistischen Kollegen aus Adlershof in einer wahren Medaillenflut baden konnten. Notgedrungen mußten ARD und ZDF, um die Zeit zu füllen, sogar Wettkämpfe übertragen, bei denen die BRD nicht einmal im Endkampf war. Peinlich, peinlich.
Die Einverleibung der DDR hat das alles geändert und geradezu paradiesische Zustände hervorgebracht. Die lästigen Ostkollegen, denen die Ausbeute von 82 Medaillen wohl vergleichsweise karg vorgekommen wäre, sind entweder abgewickelt oder durften daheimbleiben, während die ehemaligen Aschenbrödel ungehindert und ungeniert ihren patriotischen Taumel ausleben und das Hohelied der Deutschen singen konnten: „Auferstanden aus Ruinen, Deutschland einig Vaterland.“ Matti
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