Günther Beckstein über Bildungspolitik: "Ministerpräsident bin natürlich ich"
Der bayerische Ministerpräsident Beckstein will die Chancenungleichheit in Bayerns Schulen bekämpfen - und relativiert den Einfluss seiner Frau auf seine Bildungspolitik.
taz: Herr Beckstein, was finden Sie eigentlich an Ho-Chi-Minh?
Günther Beckstein: Ich dachte, wir reden über Bayern und über Bildung?
Tun wir doch. Das letzte Mal, als wir Ihnen begegnet sind, erlebten wir Sie als gelehrigen Schüler. Sie besuchten in Hanoi das Haus Ho-Chi-Minhs. Was haben Sie bei Onkel Ho gelernt?
Ich zögere trotzdem mit einer Antwort, schließlich haben kommunistische Potentaten wie Ho-Chi-Minh die Menschenrechte massiv unterdrückt. Es war eine interessante Reise. Ich habe Eindrücke über ein Land gewonnen, das sich unglaublich schnell modernisiert und dabei auch seine alte Kultur wieder entdeckt.
Günther Beckstein, 64, damals Innenminister, sagte beim letzten taz-Gespräch vor einem Jahr den prophetischen Satz: "Der Ministerpräsidententraum ist abgehakt." So kanns gehen: Seit September 2007 ist er Ministerpräsident von Bayern. Und ändert die Richtung. Hieß das Motto seines Vorgängers Hightech im Agrarstaat, ist Becksteins Idee für Bayern: Es kommt auf jeden an; wir wollen Chancen für alle - durch Bildung. Ob das Rhetorik im Bundesland der Chancenungleichheit bleibt, wird man sehen.
Für Historiker: Dies ist seit Gründung der taz das erste Interview mit einem bayerischen Ministerpräsidenten.
Wenn Sie so weltoffen sind, wieso wirken Ihre ersten Amtsmonate und Ihre erste Regierungserklärung so rückwärtsgewandt?
Wer meint, ich würde den Lichtschalter umdrehen und das Land grundlegend verändern, den muss ich in der Tat enttäuschen. Die technologische Modernisierung Bayerns hat Edmund Stoiber weit vorangebracht. Mich beschäftigen die Lebenschancen der Menschen.
Das ist Ihre Idee für Bayern?
Ich frage mich, wie können wir die Gesellschaft stabilisieren und ihren Zusammenhalt in Zeiten der Globalisierung fördern? Das ist eine Aufgabe, die übrigens sehr viel schwieriger zu erfüllen ist als einfach irgendein neues Gebäude hinzustellen. Das hat viel mit Bildung und Erziehung zu tun.
Sie kümmern sich sogar um Familien, die ihre Kinder nach dem Urlaub zu spät in die Schule bringen. Ist das nicht etwas pedantisch?
Ich nehme das als Indiz. Wir sind in Bayern in vieler Hinsicht besser dran. Aber es gibt Bereiche, wo noch Defizite da sind. Manchen Eltern ist das Urlaubsschnäppchen wichtiger, als der Schulbesuch eines Kindes. Es gibt einen Teil der Gesellschaft, der Bildung nicht ernst nimmt. Das betrifft zum Teil Migranten, aber auch Einheimische, die das Schuleschwänzen befördern oder das Komasaufen Jugendlicher zulassen. Ich fühle mich für die Bildungs- und Lebenschancen aller Kinder verantwortlich.
Wenn Sie eine Bildungsoffensive starten wollen, wieso beharren Sie dann auf einer Bildungsvermeidungsprämie?
Da haben Sie die Funktion des Betreuungsgeldes wohl falsch verstanden. Für mich ist es wichtig, den Menschen zu sagen: Wenn ihr euch selbst um eure Kinder kümmert, hilft euch dieser Staat dabei.
Sie belohnen Eltern dafür, dass sie ihre Kinder nicht in die Kita bringen.
Sie verstehen unser Land nicht. In Bayern betreut eine deutliche Mehrheit der Eltern ihre Kinder in den ersten Jahren selbst. Das ist das genaue Gegenteil von Vernachlässigen.
Schauen Sie sich die Studien an, etwa des Jugendinstituts hier in München. Gerade die Bildungsarmen werden sagen: Geld ist mir wichtiger als die frühe Bildung fürs Kind.
Ihre Generalthese, dass Eltern ihr Kleinkind nicht betreuen können, ist ganz falsch. Das hieße ja, dass das Lehrerehepaar, bei dem beide zwecks Betreuung in Teilzeit gehen, ihr Kind vernachlässigen. Das ist doch pädagogisch absurd.
Wir sprechen nicht von Ihren Mustereltern, sondern von einer andere Gruppe.
Es gibt Kindsvernachlässigungen, keine Frage. Aber wir helfen in vielfältiger Weise, wenn etwas schief geht. Etwa über eine strengere Überwachung der Vorsorgeuntersuchungen für Kinder, die wir im Kabinett bereits beschlossen haben. Mir geht es aber um etwas anderes beim Betreuungsgeld. Ich halte es für ungerecht, wenn die Öffentliche Hand für den Kinderkrippenplatz der einen Familie 800 Euro in die Hand nimmt - und der anderen Familie nichts gibt. Das Betreuungsgeld ist beispielsweise dafür da, dass ein Mann sich Erziehungsurlaub nimmt, bis seine Tochter drei Jahre alt ist. Das sollten gerade Sie als tazler gut finden.
Herr Beckstein, was sagt Ihnen die Quote 4 von 25?
Das sagt mir erst mal nichts.
Das ist nach unseren Recherchen die Zahl derer an einer Hauptschulklasse in München-Sendling, die den qualifizierenden Abschluss erringen. Vier von 25 - reicht Ihnen das?
Ich bestreite nicht, dass es solche Fälle gibt. Die Hauptschulen sind im Moment ein Kristallisationspunkt von Erziehungsproblemen. Im Schnitt erreichen in Bayern drei Viertel der Hauptschüler einen qualifizierenden Hauptschulabschluss oder gar die Mittlere Reife. Wir haben allerdings fast zehn Prozent Schüler, welche die Hauptschule nicht schaffen. Wir wollen diese Zahl in dieser Legislaturperiode halbieren.
Wie soll das gehen?
Wir müssen die Hauptschule stärker fokussieren. Es geht nicht nur um Lernen, sondern auch um Erziehung.
Die berühmten Tugenden?
Grundtugenden, jawohl, oder Sekundärtugenden, wie manche sagen. Die sind für die Frage Ausbildungsfähigkeit von entscheidender Bedeutung.
Die bayerischen Großstadt-Hauptschulen sind inzwischen genauso Restschulen wie anderswo. In München besuchen noch 12 Prozent eines Jahrgangs die Hauptschule.
In Bayern geht im Schnitt ein Drittel der Kinder in die Hauptschule. Wer ein Drittel als Restschule bezeichnet, ist einfach arrogant.
Mit Durchschnittswerten werden Sie der Situation nicht gerecht. Bayern hat doch zwei völlig verschiedene Hauptschulen - die auf dem Land und die in der Stadt. In München, Nürnberg und Augsburg zum Beispiel gibt es Rütlischulen.
Sie haben von der Situation etwa in Nürnberg nicht viel Ahnung. Meine Kinder waren in einer Grundschule, wo auf dem gemeinsamen Schulhof mit der Hauptschule drei Viertel der Schüler Ausländer und Migranten sind. Ich weiß, wie eine solche Schule ist und wo wir anpacken müssen, um allen einen Schulabschluss und eine Chance auf eine Lehrstelle zu geben.
Wir dachten, dass Sie Ihren Kopf anders als Edmund Stoiber auch mal aus dem Polit-Raumschiff Staatskanzlei herausstrecken. Ihre Frau ist Lehrerin, die wird Ihnen doch sagen, dass in den Hauptschulen nicht viel passt.
Meine Frau würde sagen, das ist eine völlig verzerrte Darstellung von Menschen, die gegen das bayerische Schulsystem polemisieren. Übrigens erzählt auch die Freundin meines Sohnes so etwas nicht, die im Münchener Stadtteil Hasenbergl Lehrerin ist.
Und was sagen Sie, Herr Ministerpräsident?
Es gibt Problembereiche, ganz klar. Wir werden flächendeckend, mit einem Schwerpunkt in Ballungsräumen, rhythmisierte Ganztagsschulen schaffen. Und wir müssen die Jugendsozialarbeit ausbauen sowie Hauptschule und Beruf besser verbinden. Aber wir lösen diese Probleme nicht, wenn wir diese Jugendlichen auf eine andere Schule schicken! Das dreigliedrige Schulsystem ist die geeignetste Form, die Betreffenden zu fördern. Denn es hält individuelle Angebote für die verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder bereit.
Der Präsident des Städtetages, ein CSU-OB, sieht die Hauptschule am Ende. Ein CSU-Papier aus dem Landtag nennt sie eine von der Bevölkerung nicht mehr akzeptierte Schulform. Liegen die so falsch?
Es gibt solche Meinungen, ich weiß. Aber das ist aus meiner Sicht eine Minderheit. Sie kriegen die Probleme nicht dadurch in den Griff, dass Sie alle Begabungstypen zusammen legen. Das wird der Förderung des individuellen Schülers nicht gerecht.
Auf dem Land geht noch ein Drittel der Schüler in die Hauptschule. Das sind aber in absoluten Zahlen so wenige, dass in den letzten Jahren 450 Hauptschulen dichtmachen mussten. Was tun, Herr Beckstein?
Sie malen einen Bevölkerungsrückgang an die Wand, den es in Bayern auf Sicht nicht geben wird. Wir erwarten insgesamt gesehen Bevölkerungszuwächse.
In manchen Grundschulen muss bereits jahrgangsübergreifend unterrichtet werden - sonst kommen keine ganzen Klassen mehr zustande. Wie wollen Sie da nach der vierten Klasse drei Schulformen vollkriegen?
In der Tat haben wir in kleinen Grundschulen jahrgangsübergreifenden Klassen, um die Schulen zu halten - nach dem Motto: kleine Kinder, kleine Beine, kleine Wege. Und auch bei den Hauptschulen sehen wir den Schülerrückgang. Wir versuchen hier Stützpunktmodelle zu entwickeln, in der einen Gemeinde soll dann etwa der soziale Zweig unterrichtet werden, in der anderen der wirtschaftliche.
Welche Rolle spielt dabei die Ganztags-Hauptschulen? Sollen Sie verpflichtend sein?
Nein, kein Zwang. Wir machen ein Angebot, das so attraktiv ist, dass es jeder in Anspruch nehmen kann.
Mit anderen Worten, die Kinder, die Sie als erziehungsproblematisch einstufen, werden weiterhin den Nachmittag vor der Glotze sitzen und schlecht Deutsch lernen.
Unsere Erfahrungen zeigen, dass gerade problematische Eltern Betreuungsangebote annehmen. Im Übrigen stellt sich die Frage, ob wir das verpflichtend einführen, im Moment nicht. Wir wollen zunächst ein flächendeckendes Angebot aufbauen. Sollten da Schwierigkeiten auftauchen, müssten wir nachsteuern.
Und das halten die Praktikerinnen der Familie Beckstein für den richtigen Weg?
Ich höre mir die Berichte von meiner Frau oder der Freundin meines Sohnes gerne an. Aber Ministerpräsident bin natürlich ich. Und meine Einschätzung ist klipp und klar: Das wichtigste Mittel, um Menschen aus schwierigen Milieus besser auszubilden, heißt: Sprache, Sprache, Sprache!
INTERVIEW: MAX HÄGLER UND CHRISTIAN FÜLLER
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