Grüne soll Integrationsdezernentin werden: Streitbare Frau mit vielen Feinden
Sie sagt, was sie denkt: Die Frankfurter Grüne Eskandari-Grünberg wird deshalb angefeindet und bedroht. Nun wird sie als Integrationsdezernentin gehandelt.
Frankfurt taz Temperamentvoll, geradeheraus, Nargess Eskandari-Grünberg hat die Diplomatie nicht gerade erfunden. Die 43 Jahre alte Frankfurter Stadtverordnete ist in Teheran geboren und flüchtete 1986 nach Deutschland. Sie studierte in Frankfurt am Main Psychologie, promovierte und praktiziert als Psychotherapeutin. Seit 2001 sitzt sie für die Grünen im Rathaus Römer und nach dem plötzlichen Tod des Frankfurter Integrationsdezernenten Jean-Claude Diallo ist sie als dessen Nachfolgerin im Gespräch.
Anfang November 2007 geriet Eskandari-Grünberg in die Kritik, als sie sich gegen eine Bürgerinitiative wehrte, die zu Demonstrationen und Unterschriften gegen den geplanten Moscheeneubau einer schiitischen Gemeinde im nördlichen Stadtteil Hausen aufgerufen hatte. Fast alle Parteien des Stadtparlaments hatten den Neubau befürwortet. Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) kam als Rednerin zu einer Gegendemonstration und verteidigte die Religionsfreiheit. In einer öffentlichen Sitzung hatte Eskandari-Grünberg nach mehreren verbalen Angriffen auf den aus Afrika stammenden Dezernenten Diallo verärgert festgestellt, dass es nun einmal "eine Tatsache" sei, dass in der weltoffenen Stadt Frankfurt 40 Prozent der Bevölkerung Einwanderer seien: "Wenn Ihnen das nicht passt, müssen Sie woanders hinziehen."
Eskandari-Grünberg erklärte anschließend, sie habe in der aufgeheizten Atmosphäre "sehr emotional reagiert" und den Deutschen keinesfalls nahelegen wollen, ihr Land zu verlassen. Sie habe den Protestierern nur "den Spiegel vorhalten" wollen. Migranten seien seit Jahrzehnten immer wieder mit der Aufforderung zur Auswanderung konfrontiert worden. Sie habe gemeint, wer in einer internationalen Stadt lebe, müsse sich "dieser Realität stellen und sie positiv betrachten".
Trotzdem blieb es nicht nur bei den tumultarischen Protesten in der Sitzung. Eskandari-Grünberg wurden Prügel angedroht. Sie bekam hunderte von bösen Briefen, Mails und Anrufen. Die Drohung, sie in das "Mullah-Land" abzuschieben, war eine der harmloseren. Anonyme Täter drohten ihr mit Steinigung und Erschießung. Auf Nazi-Seiten im Internet wurden ihre und die Adresse ihres jüdischen Ehemannes genannt, der als Psychoanalytiker am Sigmund-Freud-Institut arbeitet.
Nargess Eskandari-Grünberg ist für ihre Fraktion Vorsitzende des Ausschusses für Bildung und Integration. Sie leitet neben ihrer eigenen Praxis eine Beratungsstelle der Arbeiterwohlfahrt für ältere Migranten und engagiert sich seit zehn Jahren ehrenamtlich in der Kommunalen Ausländervertretung. Über sich selbst sagte sie, sie sei eigentlich kein sehr religiöser Mensch, kenne den Islam aber aus ihrer Jugend und wisse genau, dass die Angst vor dem fundamentalistischen Islamismus berechtigt sei. Aber das gelte nicht generell für alle Muslime. Dennoch werde sie, weil sie weiterhin für die Rechte von Frauen und Minderheiten im Iran kämpfe, auch in Deutschland auf deren Einhaltung achten und sich für einen kritischen Dialog einsetzen, gerade mit den Schiiten, aus deren Land sie geflohen sei.
Ob die Grünen Eskandari-Grünberg nominieren werden, stand am Montag noch nicht fest. Fraktionschef Olaf Cunitz sagte, alle Abgeordneten wollten sich den Vorschlag "durch den Kopf gehen lassen". Es könne ohnehin nichts entschieden werden, weil die Chefin der schwarz-grünen Koalition, Oberbürgermeisterin Petra Roth, in China weile. In der Diskussion um die Neubesetzung des Amtes hatten sich die Freien Wähler gegen die Kandidatin ausgesprochen. Sie zeige "zu wenig Versöhnungswillen".
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