Grüne im Stimmungstief : Kurs halten, Habeck!
taz FUTURZWEI-Kolumnist Udo Knapp glaubt trotz den jüngsten Rückschlägen weiterhin an die Grünen als einziger Partei mit umsetzbaren Konzepten für eine postfossile Gesellschaft.
taz FUTURZWEI | Ist es eigentlich gestattet, nicht in den allgemeinen Tenor einzustimmen, wie schlimm es um die Grünen steht? Die Wahlergebnisse im Jahr 2024 geben das erst einmal nicht her: Bei der Europawahl im Juni ging es von 20,5 runter auf 12,9 Prozent. In Sachsen von 8,9 auf 5,1 Prozent, in Thüringen von 5,2 auf 3,2 Prozent, in Brandenburg von 11,8 runter auf 4,13 Prozent. In allen drei Bundesländern flog man aus der Regierung, in zweien zudem aus dem Parlament. Letzte Woche sind dann die Bundesvorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour und der gesamte Vorstand zurückgetreten. Die Spitze der Grünen Jugend hat im Bund und in einigen Ländern angekündigt, aus der Partei auszutreten, weil sie keine „linke Politik“ mache. Die Hauptkritik kommt freilich aus einer anderen Richtung.
Im Schnelldurchlauf: Die Grünen seien staatsfixiert, sie seien wirtschaftsfeindlich, puritanisch, rituelle Antifaschisten, in den Zwang verliebt, und liberale Freiheiten seien ihnen lästig. Ihr Absturz sei der ihnen von den Wählern verpasste Realitätsschock. Merz, Söder und andere hätten sich die kulturelle Dominanz zurückerobert. Die Grünen seien selbst schuld an ihrem Absturz. Entweder sie würden sich jetzt an die Sorgen aller Bürger anpassen, den Rechtsruck zur Kenntnis nehmen, sich ihm mäßigend anverwandeln, ihre Ziele soften, strecken, aufgeben oder die aktuellen Umfragewerte seien längst nicht das Ende ihres Downgrading.
Grüne Wege ins postfossile Zeitalter
Schauen wir uns die Sache mal inhaltlich an und von den Problemen her, die gelöst werden müssen. Die postfossile Transformation von Wirtschaft, Industrie und Gesellschaft ist eindeutig die bessere Alternative gegenüber dem Ignorieren der Klimakrise. Die Grünen haben Pfade ins nachfossile Zeitalter in die Handlungszwänge jeder zukünftigen Regierung eingeschrieben, zum einen vor vielen Jahren durch den rotgrünen Umweltminister Trittin und dem Beginn der Energiewende, zum anderen nun durch Wirtschaftsminister Robert Habeck mit seinem wohl organisierten Einstieg in den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen; von der Stahlindustrie bis zur Wärmeversorgung.
taz FUTURZWEI – das Magazin, Ausgabe N°30: Wer ist das Volk? – Und warum ist Rechtspopulismus so populär?
Warum der Rechtspopulismus global und in Ostdeutschland so erfolgreich ist, können wir analysieren. Wie man ihn bremsen kann, ist unklar.
Diesmal im Heft: Jens Balzer, Ines Geipel, Jagoda Marini , Maja Göpel, Aladin El-Mafaalani, Thomas Krüger, Yevgenia Belorusets, Danyal Bayaz und Harald Welzer. Veröffentlichungsdatum: 10. September 2024.
Aber nun werden die Folgen dieses Umstiegs für jeden einzelnen Bürger auch in ihren schmerzhaften Folgen sichtbar. Es ist eine Illusion zu glauben, dass das Ende des Verbrennungsmotors ohne massive Arbeitsplatzverluste in der Autoindustrie und längs aller Zulieferketten von statten gehen kann. VW und die anderen haben in ihrer jetzigen Struktur keine Zukunft mehr. Daran können auch Weiterproduktion von Verbrennern für ein paar Jahre, Streiks der Gewerkschaften und die verständliche Angst vieler Arbeiter vor sozialem Abstieg nichts ändern. Die Wirtschaftsbosse haben indes den Wandel längst verinnerlicht. Da können CDU,CSU, SPD, FDP und AfD noch so verlogen ein „Weiter so“ versprechen, halten können sie es nicht. Das Einzige, was hilft, ist ein öffentlich gestützter Umbau der Autoindustrie. Genau für diesen politisch unterstützten Weg haben die Grünen Konzepte. Der Markt allein würde die Kosten für den Umbau ins Rücksichtslose steigern.
Geregelte Zuwanderung und nachhaltiger Sozialumbau
Die ungeregelte Migration kann nicht nur mit nationaldeutschen Muskelspielen begrenzt werden. Dazu braucht es sichere europäische Außengrenzen. Vor allem aber braucht es eine funktionierende, unbürokratische Integration auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Die aber lassen im Moment alle Bundesländer im Verwaltungsalltag scheitern. Es braucht geregelte, systematisch organisierte Zuwanderung, sogenannten „brain gain“ aus der ganzen Welt. Ohne die wird die Bundesrepublik aus demographischen Gründen schon in wenigen Jahren nicht mehr funktionieren. Nationalistische und antieuropäische Huberei kann daran überhaupt nichts ändern. Damit wird nur Fremdenfeindlichkeit befeuert, werden die Hemmschwellen der Gewalt gegen Bürger mit migrantischem Hintergrund herabgesetzt. Die Grünen haben hier klare Positionen, die aktuell in Baden-Württemberg, NRW und Schleswig-Holstein gemeinsam mit der CDU umgesetzt werden.
Die System-Kriege der russischen Imperialisten und der Islamisten erfordern die Aufrüstung der Bundeswehr und die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Das ist schwierig, aber wenn CDU und SPD bei anstehenden Koalitionen in ostdeutschen Bundesländern dem BSW in dieser Frage Zugeständnisse machen, dann schwächen sie sich nur selbst weiter. Außenministerin Annalena Baerbock hat hier die Grünen auf klare Unterstützung der Ukraine und Investitionen in die Bundeswehr festgelegt.
Große Defizite hat die grüne Politik dagegen beim nachhaltigen Umbau des Sozialstaates: Zu hohe Mieten, zu wenig bezahlbare Wohnungen für alle, der unfähige Umgang mit den Sorgen der Alten bei Gesundheit, Pflege und Renten, obwohl sie das Elektorat in den nächsten Jahrzehnten dominieren werden, keine Konzepte in der Bildungspolitik. Diese Defizite könnten relativ einfach korrigiert werden, indem man die in der Gesellschaft vorhandenen plausiblen Konzepte für diese Probleme aufgreift.
Die einzige Partei mit realistischen Zukunftskonzepten
Richtig ist, dass der Zeitgeist derzeit eher die Sehnsucht nach dem Verweilen des Augenblicks ist. Ein Teil der Leute will die postfossile Transformation einfach nicht, sondern lieber billiges Gas. Nicht noch mehr Ausländer. Nicht Gefahr laufen, für andere in den Krieg ziehen zu müssen. Dieser Teil der Gesellschaft läuft lieber den populistischen Rattenfängern hinterher. Obwohl den meisten davon klar ist, dass nichts so bleiben wird, wie es nie gewesen ist. Doch ein anderer Teil der Gesellschaft ist durchaus bedingt aufbruchbereit.
Deshalb müssen sich die Grünen bei konsequentem Auftreten vor ihrer politischen Zukunft nicht fürchten. Inhaltlich nicht: CDU/CSU und SPD haben keine nachvollziehbaren Zukunftskonzepte. Und machtarithmetisch auch nicht: Wenn die AfD nicht doch noch in ein Verbotsverfahren gezwungen wird, dann wird es bei den Bundestagswahlen für CDU/CSU und SPD wahrscheinlich nur mit den Grünen Chancen zum Regieren geben.
Das mag jetzt nicht in die kurzatmige Medienstimmung passen, aber mit Robert Habeck als Kanzlerkandidaten sind die Grünen zumindest programmatisch weiter auf dem Weg zur Volkspartei. Der Vizekanzler kann Merz und Scholz in jeder inhaltlichen Debatte dominieren. Wenn es den Grünen gelingt, die Machbarkeit ihrer Zukunftskonzepte zu plausibilisieren, ohne den Leuten nach dem Maul reden und ihre Bereitschaft zur Kooperation mit CDU und SPD trotz deren Zurückweisung weiter offen vorzutragen, dann können sie auch in den nächsten Jahren in einer gestaltenden Rolle bleiben. 🐾
■ UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.