Grüne Schleswig-Holstein: Mann siegt, Frauen auch
Regieren, aber nicht um jeden Preis: Die Grünen in Schleswig-Holstein beschließen ihr Programm und wählen Robert Habeck zum Spitzenkandidaten - aber nicht auf Platz 1 der Landesliste.
NEUMÜNSTER taz | Sie sind "nordisch by nature", das versprach zumindest das Plakat im Graffiti-Stil, vor dem das Präsidium des Landesparteitags der schleswig-holsteinischen Grünen saß. Drei Tage diskutierten die 104 Delegierten in der Stadthalle Neumünster das Programm, mit dem die Partei bei der Landtagswahl im Mai antritt. Sie wollen "einen neuen politischen Stil" - oder, wie die Parteivorsitzende Marlene Löhr sagte: "Um das Land aus der Krise zu befreien, müssen wir frei von Parteizugehörigkeiten über Inhalte streiten."
Fraktionschef Robert Habeck trat in seiner Rede für "grüne Eigenständigkeit ohne Koalitionsaussagen und Festlegungen" ein. Stattdessen solle die Partei sich als Herausforderer für CDU und SPD verstehen. Die Großen schlössen zurzeit keine Kombinationen aus: "Die Umarmungen der SPD schnüren einem manchmal die Luft ab und die Annäherungen der CDU sind mitunter penetrant." Es gebe "kein selbstzweckhaftes Regieren", sagte Habeck. "Dann lieber nicht Regieren."
Streit hatte es zuvor um die Frage gegeben, ob Habeck, der am Freitag mit 103 von 104 Stimmen zum alleinigen Spitzenkandidaten gewählt wurde, auch die Landesliste anführen soll. Die Quotenregel besagt, dass dieser Platz einer Frau gehört. Die Frauenversammlung - die weiblichen Delegierten des Parteitags - entschied, die Quote zu erhalten. Habeck ist damit zwar Zugpferd und Gesicht der Grünen, kann aber beim Listenparteitag, der für Januar geplant ist, bestenfalls auf Platz 2 gewählt werden.
Vielleicht hatte Habeck diesen Ausgang geahnt - jedenfalls ließ er sich bereits am Freitag, nach seiner Wahl zum Spitzenkandidaten, mit Pappkrone und Lauch-Zepter fotografieren, dazu hatte er ein Windrad und einen Reichsapfel in der Hand. Die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth, Schatzmeister Markus Stiegler und die schleswig-holsteinische Parteichefin Marlene Löhram standen bei diesem Auftritt hinter Habeck und klatschten fröhlich.
Nicht ganz so einig zeigten sich die Grünen beim Reizthema Autobahn: Der Programmentwurf sah vor, den Ausbau der A 7 nach Flensburg zumindest zu prüfen. Mit großer Mehrheit stimmte der Parteitag dagegen, obwohl einige Redner sich für "das böse A-Wort - wir dürfen ja nicht Autobahn sagen" - ausgesprochen hatten. Diskutiert wurde auch über eine "Flatrate für Bus und Bahn" sowie den Ausbau von Schienen. Die Grünen lehnen die feste Fehmarnbelt-Querung weiter ab, wollen sich aber "kritisch-konstruktiv" an der Umsetzung beteiligen, falls der Bau nicht zu verhindern ist.
Nach einer Umfrage von Infratest dimap von Ende September kämen Grüne und SPD bei den schleswig-holsteinischen Landtagswahlen im Mai 2012 zusammen auf 55 Prozent.
34 Prozent der Befragten würden für die SPD stimmen - das wären 8,9 Prozentpunkte mehr als bei der Landtagswahl im September 2009.
Die Grünen könnten ihr Ergebnis um 8,6 Prozentpunkte auf 21 Prozent verbessern.
Wahlverlierer wären CDU und FDP: Die Union kam in der Umfrage auf 30 Prozent, die FDP würde den Einzug in den Kieler Landtag mit drei Prozent verpassen.
In der Energiepolitik fordern sie, dass sich Anlieger nach dem Modell der Bürgerwindparks an den neuen Stromnetzen beteiligen. Der Bau neuer Kohlekraftwerke soll nach Möglichkeit verhindert werden.
In der Bildungspolitik wollen die schleswig-holsteinischen Grünen die Lehrerstellen erhalten, die durch den Rückgang der Schülerzahlen eigentlich gestrichen werden könnten. Gemeinschaftsschulen sollen gestärkt und mehr Oberstufen eingerichtet werden. Kitas sollen kostenpflichtig bleiben, für finanzschwache Familien soll es aber eine landesweit gültige Sozialstaffelung geben.
Bei alldem sollen neue Schulden auf jeden Fall vermieden werden: "Wir werden uns nicht nach der Wahl hinstellen und verkünden, dass wir unsere Versprechen nicht halten können, weil das Land leider pleite ist", so die Parteivorsitzende Ekka von Kalben. "Das wäre ziemlich peinlich."
Die Grünen wollen die Einnahmen verbessern, unter anderem durch eine höhere Grunderwerbssteuer. Die Landesbank HSH soll verkauft, die Schuldenlast des Landes durch einen Altschuldenfonds verringert werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr