Großer Etikettenschwindel : KOMMENTAR VON LUKAS WALLRAFF
Die große Koalition hat geschafft, was der rot-grünen Regierung nicht gelang: Endlich gibt es eine Einigung von Bund und Ländern zum Umgang mit Migranten, die schon lange in Deutschland leben, aber bisher nur geduldet wurden. Für Union und SPD ist die sogenannte Bleiberechtsregelung ein Erfolg, den sie in schönen Sonntagsreden feiern werden: Seht her, wir tun was für die Integration! Die nun vereinbarte Lösung als humanitäre Maßnahme zu verkaufen, ist allerdings ein Etikettenschwindel. Wenn der SPD-Vorsitzende Kurt Beck von einer „menschenwürdigen Regelung“ spricht, die Flüchtlingen und ihren Familien „Sicherheit“ verschaffe, grenzt das an Zynismus.
Von einem dauerhaften Bleiberecht können die meisten Betroffenen weiterhin nur träumen. Es ist zwar ein Fortschritt, dass die Migranten nicht mehr alle drei Monate um eine neue Duldung bitten müssen. Aber auch die Aufenthaltsgenehmigungen, die ihnen nun in Aussicht gestellt werden, gelten nur „auf Probe“. Und die Innenminister sind bereits dabei, weitere Einschränkungen auszutüfteln. So sollen Menschen aus bestimmten Herkunftsländern ganz von der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen werden. Von der Sicherheit, die Beck verspricht, kann für einen Großteil der 180.000 Menschen, um die es geht, keine Rede sein.
Sicher ist nur, dass der Koalitionskompromiss die Schwächsten am härtesten trifft: Alte, Kinder, Kranke. Alle, die nicht arbeiten können, können auch nach jahrzehntelangem Aufenthalt weiter in Sammelunterkünften eingepfercht und mit Sachleistungen abgespeist werden. So viel zum christlichen Menschenbild der CDU/CSU.
Den Druck erhöhen und Deutschland für Flüchtlinge unattraktiv machen – nur darum geht es. So richtig es ist, dass arbeitsfähige Flüchtlinge endlich arbeiten dürfen: Dass sie ein Bleiberecht erst dann kriegen, wenn sie einen Job haben, ist grundverkehrt. Diese Regel lädt die Arbeitgeber geradezu dazu ein, die Geduldeten auszubeuten.
Die Koalition hätte klar sagen müssen: Es geht um Menschen, die wir gar nicht abschieben können. Sonst wären sie ja schon längst weg. Nun heißen wir sie endlich ohne Einschränkungen willkommen. Doch dazu fehlte der Union der Wille und der SPD der Mut.