Grosse Koalition will sich den idealen Einwanderer backen : Gute Migranten, schlechte Migranten
Die Koalition hat sich etwas Neues vorgenommen: Die Regeln für die Zuwanderung sollen gelockert werden. Das klingt fortschrittlich, jedenfalls im Vergleich zur bisherigen Unions-Rhetorik. Doch gemach. Geplant sind lediglich ein paar Korrekturen, die sich auf Erleichterungen für höchstqualifizierte Ausländer beschränken. Dieses Vorhaben entspringt nicht etwa einem neuen liberalen Denken, sondern Klagen aus der Wirtschaft. Nur weil diese starke Lobby beharrlich darauf hinweist, setzt sich auch in der Union allmählich die Erkenntnis durch, dass Deutschland inzwischen mehr unter Auswanderung von klugen Leuten leidet als unter einem Andrang armer Bittsteller.
Das ist das Ergebnis einer restriktiven Politik, die über ihr eigenes Ziel hinausschoss. Was man erreichen wollte, brachte der bayerische Innenminister Beckstein auf den Punkt: Wir brauchen mehr Ausländer, die uns nützen, und weniger Ausländer, die uns ausnützen. Diese Wortwahl war der SPD zu drastisch, nicht aber die Stoßrichtung. Am Anfang stand der Asylkompromiss, der Flüchtlingen den Landweg nach Deutschland versperrte – mit dem erwünschten Resultat: Noch nie gab es so wenige Asylanträge wie heute. Noch nie gab es aber auch so wenige Einwanderungsanträge gut ausgebildeter Spezialisten. Das Zuwanderungsgesetz erweist sich als höchst effektives Abschreckungsinstrument gegen Migranten, die man umwerben wollte.
Die Hürden sind absurd. Ein schnelles Aufenthaltsrecht bekommt nur, wer mindestens 84.000 Euro Gehalt vorweisen oder eine Million Euro investieren kann. Schön, wenn die Koalition diese Grenzen senkt. Mutiger wäre es, der Bevölkerung endlich zu erklären, dass Deutschland schon aus demografischen Gründen langfristig mehr Einwanderung braucht – nicht nur Höchstqualifizierte, die scheinbar ohne Risiko zu integrieren sind.
Die Regierung tut so, als könnte sie sich den idealen Migranten backen. Nötig wäre ein System, das auch Einwanderern ohne dicken Geldbeutel Chancen bietet. Das Punktesystem der Süssmuth-Kommission war dafür ein guter Ansatz. Leider bleibt es wohl weiter im Papierkorb. LUKAS WALLRAFF