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Archiv-Artikel

Große Koalition des Stillstands KOMMENTAR VON BETTINA GAUS

Unterschiedlicher als Angela Merkel und Gerhard Schröder können zwei Persönlichkeiten kaum sein. Und dennoch fällt das öffentliche Urteil über beide ganz ähnlich aus: zu wenig Mut, zu wenig Linie, zu wenig Durchsetzungskraft in der eigenen Partei. Ohne Überzeugungen. Nur an der Macht als solcher interessiert. Die Folge: Stillstand. Dabei müsste doch – endlich, endlich – etwas geschehen. Was für eine Enttäuschung.

Nun ja. Wie müsste denn ein Kanzler oder eine Kanzlerin beschaffen sein, um dem Volk zu gefallen? Könnte es einer Mischung aus Jeanne d’Arc, Robin Hood und Bill Gates gelingen, die Massen zu begeistern? Kaum. Der Kern des Problems liegt in den Strukturen, nicht in den Personen begründet. Das klingt furchtbar langweilig. Was nichts daran ändert, dass es wahr ist.

Im Auge des Sturms ist es ruhig. Deshalb kann sich gefühlter Stillstand wie Mehltau über das Land legen, obwohl eine Revolution stattgefunden hat. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der weltweit dramatische Folgen nach sich zog, musste in Deutschland eine Vereinigung von Staaten und von Menschen verkraftet werden, die sich in Jahren der Trennung fremd geworden waren. Während die europäische Integration und Erweiterung – gleichzeitig! – vollzogen werden sollte.

Das konnte nicht gut gehen. Zu viel Wandel mögen die Leute nicht. Da wollen sie beruhigt werden. Die Politik hat sie beruhigt. Mit dem Versprechen, nichts werde sich grundlegend ändern. Das war eine Lüge. Sie wurde inzwischen als solche durchschaut.

Sind das allzu große Dimensionen für eine kleine Bilanz des ersten Jahres einer neuen Regierung? Nein. Die einzige Rechtfertigung für eine große Koalition, die in demokratietheoretischer Hinsicht nicht wünschenswert ist, besteht darin, dass sie die Strukturen den Gegebenheiten anpasst. Konkret hätte das bedeutet: eine geglückte Föderalismusreform.

Da hat die große Koalition versagt, und daran wird sich in dieser Legislaturperiode auch nichts mehr ändern. Deshalb ist jede Enttäuschung berechtigt, wie populistisch sie auch daherkommen mag. Alles andere – sogar die seltsame Gesundheitsreform – wäre verzeihlich gewesen.