■ Großbritanniens Enttäuschung über die Weigerung der EU, das Exportverbot für britisches Rindfleisch zu lockern, saß tief. Doch daß der Zauderer John Major die europäischen Partner so frontal herausfordern würde, hatte keiner erwartet.: Im
Großbritanniens Enttäuschung über die Weigerung der EU, das Exportverbot für britisches Rindfleisch zu lockern, saß tief. Doch daß der Zauderer John Major die europäischen Partner so frontal herausfordern würde, hatte keiner erwartet.
Im Rindsgalopp in den Wahlkampf
Es lag in der Luft, daß John Major die erneute Demütigung durch den Ständigen Veterinärausschuß nicht einfach hinnehmen würde. Doch daß er die EU gleich frontal herausfordern würde, hätte von dem Zauderer Major wohl niemand erwartet. Am Dienstag abend zeigte sich der britische Premier vor dem Londoner Unterhaus tief enttäuscht über die erneute Weigerung der EU-Gremien, das seit März auf der britischen Rindfleischindustrie lastende Exportverbot auch nur teilweise aufzuheben. Zur unverhohlenen Freude seiner Konservativen Partei versuchte er, die EU mit einem handfesten Ultimatum unter Druck zu setzen. Bis zum Gipfel der Regierungschefs am 21. Juni in Florenz müßten entscheidende Schritte zur Aufhebung des Exportverbots erfolgt sein, sonst würde dies das „Ende der normalen Zusammenarbeit“ bedeuten.
Konkret forderte Major die seit Wochen diskutierte Aufhebung des Exportsverbots auf Rindergelatine, -talg und -sperma. Außerdem müsse die EU einen Zeitplan aufstellen, bis wann das Exportverbot auch für Rinder und deren Fleisch aufgehoben werden könne. Sollten diese Maßnahmen nicht in Majors Sinn umgesetzt werden, werde seine Regierung nicht weiter mit der EU kooperieren. Es werde, so Major, in der EU keine Fortschritte mehr geben, vor allem werde Großbritannien alle Entscheidungen blockieren, die Einstimmigkeit erfordern. Daß er daneben auch noch ankündigte, gegen die Entscheidung des Veterinärausschusses Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zu erheben, ging im allgemeinen Medienrummel unter. Immerhin scheint Major den eigentlich vorgesehenen Weg, sich gegen vermeintlich rechtswidrige Entscheidungen der EU-Organe zu wehren, nicht völlig aus den Augen verloren zu haben.
Völlige Konfusion entstand gestern jedoch, als ein Sprecher der englischen Regierung in einem Bargespräch mit Journalisten ankündigte, daß die Briten ihre neue Strategie nicht erst ab dem 21. Juni, sondern sofort anwenden werden. Die EU-Kommission dagegen versuchte, weiterhin Ruhe zu bewahren. Sie appellierte lediglich an die Briten, die Verträge einzuhalten. Auch die Bundesregierung weigerte sich, das britische Verhalten zu kommentieren. Hilfsaußenminister Werner Hoyer erklärte gestern in Brüssel: „Wir wollen kein Öl ins Feuer einer innenpolitischen Auseinandersetzung gießen.“ Hoyer verhandelte in Brüssel mit Kollegen aus den anderen Mitgliedsstaaten im Rahmen der einjährigen Regierungskonferenz zur Reform der EU-Verträge. „Die Briten haben sich ganz normal verhalten, waren kooperativ und konstruktiv“, so Hoyer.
Zur gleichen Zeit hatte die Kommission einen neuen Vorschlag zur Lockerung des Exportverbots für Gelatine, Talg und Rindersamen beschlossen. Er wird dem Sonderrat der Agrarminister am 3. und 4. Juni in Luxemburg zur Abstimmung vorgelegt. Der Vorschlag entspricht bis in die Details dem Vorschlag, der am Montag vom Veterinärausschuß nicht die erforderliche qualifizierte Mehrheit fand. Agrarkommissar Franz Fischler erklärte hierzu: „Unser Vorschlag beruht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Warum sollten wir ihn ändern?“ Nach den anzuwendenden EU-Regeln können die Agrarminister den Kommissionsvorschlag mit einfacher Mehrheit verhindern. Kommt diese aber nicht zustande, kann die Kommission ihren Vorschlag umsetzen. Daß sie dies dann auch tun wird, bekräftigte ein Sprecher der Kommission gestern erneut. Überträgt man das Abstimmungsverhalten im Veterinärausschuß auf den Agrarministerrat, so käme diese einfache Mehrheit gegen den Kommissionsvorschlag nicht zustande.
Das Verfehlen der qualifizierten Mehrheit im Veterinärausschuß hätte den Gegnern einer Lockerung also nur einen Zeitaufschub von zwei Wochen gebracht. Dies macht die Reaktion von John Major aus europäischer Sicht um so unverständlicher. Es scheint also wirklich nur um eine billige Wahlkampfgeste zu gehen. Christian Rath, Brüssel
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