Grönemeyers Indie-Plattenfirma: Eine Alternative zu den Fleischwölfen
Herbert Grönemeyer, größter deutscher Popstar unserer Zeit, baut mit Grönland Records Nachwuchskünstler auf und veröffentlicht vergessene Perlen.
Muss man noch erwähnen, dass Herbert Grönemeyer der größte deutsche Popstar unserer Zeit ist? Eigentlich nicht. Ein Beispiel trotzdem: Während 1984 die Bestenlisten immer noch von Michael Jacksons 1982 erschienenem Album "Thriller" beherrscht werden, kaufen die Deutschen kein Album öfter als "4630 Bochum" von Herbert Grönemeyer. Es enthält Gassenhauer wie "Bochum", "Flugzeuge im Bauch" und "Alkohol" und macht Grönemeyer sozusagen über Nacht zum Star.
Von nun an hagelt es alle im Musikbusiness erdenklichen Auszeichnungen. Jedes seiner Alben startet von null auf eins in den Charts, die Tourneen durch die großen Stadien in Deutschland sind regelmäßig ausverkauft. In Musikerkreisen, die sich selbst als ernsthaft und anspruchsvoll wahrnehmen, nennt man Grönemeyer dagegen abfällig "die Currywurst". Was kaum jemand weiß: Die Currywurst steht nicht nur für Charts-kompatiblen Mainstreampop ("gehsse inne Stadt, was macht dich da satt? Ne Currywurst!"), sondern betreibt auch ein Indie-Label: "Grönland Records." Auf Grönland Records sind kürzlich drei neue Alben erschienen: "Epcot Starfields" von Windmill, "The Sparrow and The Crow" von William Fitzsimmons und "Tracks and Traces - Reissue" von Harmonia und Brian Eno.
Die Grönemeyer-Fangemeinde kennt diese Künstler vermutlich nicht. Was also bringt die Currywurst dazu, unbekannte Musiker zu veröffentlichen? "Die Idee war, Künstlern eine Wirkungsstätte zu bieten, bei der sie besser beraten werden", erklärt Herbert Grönemeyer. "Als Musiker weiß ich, dass Künstler bekloppt werden können, wenn die Umgebung nicht stimmt. Deswegen wollte ich eine Alternative zur Arbeitsweise der Majors bieten, die fast nur noch größere Fleischwölfe sind."
Grönemeyer selbst veröffentlicht seine Musik seit 1983 beim Branchenriesen EMI. Seine nach wie vor unglaublichen Verkaufszahlen sind mit verantwortlich dafür, dass EMI-Deutschland zu den vier letzten verbliebenen Major-Labels gehört. Wie jedem Großkonzern geht es auch der EMI in erster Linie um Gewinnmaximierung. Solange sich die Musik ordentlich verkauft, jucken Belange von Musikern, Interessen des Publikums oder gar so abgefahrene Auswahlkriterien wie Anspruch und Qualität dort niemand. Seit es Popmusik gibt, existieren aber auch Labels, die genau das anders machen wollen. Denen gute Musik wichtiger ist als Bares. Die anspruchsvolle Künstler schätzen, diese nicht wegen kommerzieller Erfolgsaussichten unter Vertrag nehmen. Die sich darüber freuen, wenn ihre Alben in einem kleinen Plattenladen als Vinyl im Regal stehen anstatt bei MediaMarkt an der Kasse.
"Wenn man so will, sind wir so ein klassisches Indie-Label", erklärt Grönemeyer. Für das Tagesgeschäft hat er mit Mareike Hettler eine einzige Mitarbeiterin angestellt. Grönland arbeitet mit einer überschaubaren Anzahl von Künstlern. Sol Seppy, Fujiya & Miyagi, Philipp Poisel, Windmill, William Fitzsimmons, Harmonia, Neu!. Ihre Verkaufszahlen schwanken zwischen 5.000 und 15.000 Stück, nur Philipp Poisel hat mit 30.000 "verkauften Einheiten" einen ökonomischen Achtungserfolg erzielt. Dass wie jetzt drei Alben fast zeitgleich erscheinen, ist eher selten.
Wer überhaupt auf Grönland gesignt wird, entscheidet das Team gemeinsam: "Wir hören uns die Demos an und reden darüber. Ich sitze da aber nicht wie der kleine König Kirsch und sage, wos langgeht", betont Grönemeyer. Die Auswahl erfolgt nicht nach Genrekonventionen, alle Bands auf Grönland machen im weitesten Sinne Pop. "Wichtig ist uns als Label, dass sowohl Musik als auch Künstler eine gewisse Sperrigkeit haben."
Der Singer-Songwriter William Fitzsimmons trägt einen riesengroßen Karl-Marx-Gedächtnisbart und eine schwarze Hipsterbrille. Sein Album heißt "The Sparrow And The Crow" und erzählt die Geschichte seiner letzten Trennung. Der Spatz im Albumtitel stehe für Liebe, die Krähe für Hass, erklärt Fitzsimmons und lacht sanft: "Den Vogeltick hat mir meine Mutter mitgegeben." Fitzsimmons Eltern waren blind. Weil das Haus deswegen vollgestopft war mit allen möglichen Klangerzeugern, lernte er schon früh, mit Instrumenten umzugehen. Und weil seine Mutter während seiner Kindheit allerlei Papageien züchtete und Kuckucksuhren hortete, lässt Fitzsimmons das Vogelmotiv nicht mehr los.
"Ich fuhr auf der Autobahn und sah Schwalben am Himmel. Plötzlich löste sich einer der Vögel von der Gruppe und flog allein weiter. Dieses Bild hätte für jemand anderen vielleicht nichts bedeutet, aber es erklärt viel von dem, was ich durchmachte, auf eine simple Art und Weise. Ich hielt es für ein Zeichen, das Vogelmotiv beizubehalten, um das Trennungszeug aus meinem Kopf rauszukriegen." Dass Fitzsimmons Pop als kathartisches Medium verwendet, macht Sinn. Er ließ sich als Psychotherapeut ausbilden, bevor er anfing, Musik zu machen. Auf seinen Konzerten wird im Publikum auch geweint. Konzerte als Therapiestunden? "Die Leute lachen auch viel", darauf besteht er, "aber ich finde es wichtig, offen über Gefühle reden zu können. Wir können alle einen good cry gebrauchen."
Auch bei "Epcot Starfields", dem neuen, zweiten Album von Windmill, spielt die Kindheit des Künstlers eine große Rolle. Der Engländer Matthew Thomas Dillon besuchte als Kind den Vergnügungspark "Disney World" in Florida. Speziell die Epcot Centres, ein Themenpark, der die Zukunft behandelt, hinterließen bei dem jungen Dillon einen großen Eindruck. "Obwohl ich wusste, dass wir sterblich sind", sagt Dillon heute, "erkannte ich, dass die Ideen der Menschen grenzenlos sein können." Der Hit auf dem Windmill-Album heißt "Ellen Save Our Energy", benannt nach Dillons Lieblingsfahrgeschäft - es heißt "Ellens Energy Adventure". Obwohl er heute 28 Jahre alt ist, erinnert er sich noch genau an den Moment, als er staunend durch den futuristischen Vergnügungspark stolperte. Die Musik ist mal melancholischer, mal euphorischer Indiepop in der Tradition von Electric President oder The Album Leaf. Charakteristisch ist Dillons hohe Stimme, die auch Tristesse verbreiten kann. "Das Album handelt von den perfekten Momenten in unserem Leben und der Trauer, all das im Moment des Todes sausen lassen zu müssen."
Michael Rother von Harmonia schließlich ist eine Legende des Krautrock. Er spielte einst bei Kraftwerk, gründete Neu! und Harmonia und wurde zum Pionier der elektronischen Musik. 1976 wurde Brian Eno auf Harmonia aufmerksam. Auf dem Weg zu David Bowie in Berlin machte er 1975 einen Stopp im Weserbergland und nahm mit Harmonia in deren Studio die sphärisch-elektronischen "Tracks and Traces Sessions" auf. Weil sich Harmonia zerstritten und Brian Eno die ihm anvertrauten Tonbänder offenbar verschlampte, war lange eine "nur unbefriedigende" Bootleg-Version der Sessions erhältlich. Irgendwann fand Michael Rother eine Kassette mit unveröffentlichtem Material der Sessions. Ohne Klangverlust ist jetzt "Tracks And Traces - Reissue" mit drei neuen Tracks erhältlich. "Ich habe noch nie so viele Interviews gegeben wie im Moment", sagt Michael Rother. Krautrock, vor allem in der Neu!-Spielart, erlebt zurzeit ein Revival, ob bei Kasabian, LCD Soundsystem oder den Goldenen Zitronen.
Und auch daran ist Grönemeyer nicht ganz unschuldig. "Als ich meine Pop-2000-Reihe gemacht habe, stellte ich fest, dass das Werk von Neu! nicht auf CD erhältlich war. Ein unhaltbarer Zustand." Also traf sich Grönemeyer immer wieder mit den verkrachten Diven Klaus Dinger und Rother und glättete die Wogen, bis die Musik von Neu! endlich wieder erhältlich war. "Noch heute verkaufen sich die Platten so konstant wie Weltliteratur", erklärt die Currywurst und kann einen gewissen Stolz nicht verhehlen.
Noch schreibt Grönland keine schwarzen Zahlen. "Aber wir sind so weit, dass sich die Künstler selbst tragen", den Rest bezahlt der Popstar aus eigener Tasche. "Aber darum gehts nicht. Das war nie mein Ansatz. So lange ich das Gefühl habe, dass das Label in sich geschlossen funktioniert, dass die Musik lebendig ist und wie ein Kunstprojekt mit allen Künstlern in sich stimmig ist, dann ist das nicht eine Frage des Geldes. Und wenn man das schafft, fünf oder sechs Künstler auf dem Label zu haben, dann ist das schon ein großes Glück, eine kleine Schatzkiste."
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