Grafite Mann des Spiels gegen Moskau: "Maschine kaputt"
Grafite schießt weiter Tore am Fließband, wie bei Wolfsburgs Champions-League-Debüt gegen ZSKA. Schon am Freitag muss er wieder ran - gegen seinen Mentor Felix Magath.
Edinaldos Effizienz
AUS WOLFSBURG FRANK HELLMANN
Es gibt mittlerweile ziemlich viele Momente im bewegten Leben des Edinaldo Batista Libanio, kurz Grafite, in denen der Fußballer nur auf Gilberto Fernandes hört, seinen Dolmetscher und Begleiter, Berater und Kumpel. Die beiden Männer wirken fast wesensgleich, wenn Fernandes wie in der Nacht zu Mittwoch zig Statements von Grafite vom Portugiesischen ins Deutsche übersetzen muss und umgekehrt. "Eine Frage noch!", rief der Übersetzer der wissbegierigen Meute internationaler Herkunft in der Wolfsburger Arena zu, die den Matchwinner des 3:1 gegen ZSKA Moskau zwangsläufig umzingelt hatten. Irgendeinem fiel ein, zu erforschen, ob sich denn der Bundesliga-Torschützenkönig und Dreifachtorschütze des Wolfsburger Champions-League-Debüts auf das Wiedersehen mit Felix Magath am Freitag freue. Grafite und Fernandes lachten im Gleichklang wie Kinder, die sich über eine dumme Frage ihrer Eltern amüsieren. Dann machten beide auf dem Absatz kehrt. Fernandes wünschte "eine gute Nacht".
Warum an einem Abend an die nächste Pflicht denken, die für Wolfsburg schon morgen Bundesliga auf Schalke bedeutet? Die Meistermannschaft bei ihrem Meistertrainer, der Mittelstürmer bei seinem Mentor. "Einen guten Kommandanten" nannte Grafite mal jenen Fußballlehrer, der ihn entscheidend körperlich ertüchtigt hat. Eine "Quälix"-Geschichte mit dem Brasilianer besitzt bereits Legendenstatus. Im Trainingslager am Thuner See vor der Meistersaison lud Magath die Spieler mal zu Kaffee und Kuchen ein. Dummerweise befand sich das Café am Spiezer Hausberg, dem Niesen in 2.362 Meter Höhe, und der Anstieg zum Gipfel artete aus zur kollektiven Strapaze. Die letzten 200 Meter ließ sich Grafite damals an einem Stock hochziehen, und hoch oben sagte er: "Maschine kaputt".
Sturmpartner Edin Dzeko benutzt das noch heute als Spitzname des Profis Grafite, den Magath einst am letzten Tag der Transferperiode 2007 für 8 Millionen aus Le Mans kaufte - ohne ihn je gesehen zu haben. Das viele Geld, und damit ist auch der neue Kontrakt gemeint, der dem 30-Jährigen bis 2013 ein jährliches Salär von 5 Millionen zusichert, sei der 1,89-Meter-Mann wert, insistierte Geschäftsführer Jürgen Marbach. "Er ist unsere Symbolfigur. Wir hatten noch nie einen Torschützenkönig, einen Fußballer des Jahres. Und ist ein feiner Kerl, der die ganze Mannschaft mitnimmt."
Wohin nur? Ertönt das Triumphgeheul der Wölfe auch am 30. September in Old Trafford? "Wir sind einer der besten Klubs in Europa. Europa lernt jetzt Wolfsburg kennen", befand Grafite im Überschwang, obwohl ZSKA so weit weg vom Niveau der Eliteklasse wirkte wie der VfL derzeit von der Ligaspitze entfernt ist. Aber er muss ein bisschen trommeln. Eine klitzekleine Hoffnung hat Grafite nämlich noch, dass Carlos Dunga beim Zappen durch die Zusammenfassungen der europäischen Fußballspiele auf seine Tore stößt und ihn vielleicht noch einmal zur Seleçao einlädt. "Das ist mein Ziel, dafür arbeite ich", sagt Grafite, der 2005 nur ein einziges Mal in der Nationalmannschaft spielte, "Das wäre ein Traum", sagte Grafite, und er weiß nicht, ob der Traum einer bleiben wird. Ohnehin weiß er seit dem Herztod seines Vaters im Oktober vergangenen Jahres mehr denn je, was wirklich ist. Seine Familie, sein Glaube. "Para sempre Grace", für immer Gnade, prangt auf dem Liebestattoo am mächtigen rechten Unterarm. Genau zehn Jahre ist er mit seiner Frau jetzt zusammen, seit acht Jahren sind die beiden verheiratet. Auch die Töchter Maria-Cecilia, Maria-Luisa und Maria-Sofia, die sich in einem schmucken Haus in der Kleinstadt Gifhorn wohl fühlen, sind Kraftspender dieses wuchtigen Ausnahmeangreifers.
Grafites verlässliche Torproduktion in der VfL-Arena erinnerte fast an die Fließbandarbeit in den Autowerken. "Im Normalfall trifft er vor dem Tor immer die richtige Entscheidung", belobigte ihn sein erster Vorgesetzter Armin Veh, nicht ohne den Wert selbstloser Zuarbeiter wie Dzeko, Grafites Sturmkollege, zu würdigen. Gleichzeitig zerschoss die Nummer 23 auch alle Zweifel darüber, ob Vehs System mit drei Spitzen wirklich das Richtige ist. Nur dauerhaft wird sich Grafite nicht mit der Formation anfreunden. "Da muss ich zu viel laufen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin