Gottschalk sagt : Zur Pflaume werden
Ja, der Franzose hat‘s drauf. Er kann kochen wie ein Weltmeister, in der Liebe ist er Spitzenklasse und er hat die hydropneumatische Federung erfunden. Und effektiv demonstrieren kann er auch noch: Randaliert der Franzose mal elf Wochen lang, gibt die Regierung nach. Da fragt sich natürlich der Kölner Stadtanzeiger, das alte Revoluzzerblatt: „Warum schweigt in Deutschland die junge Generation?“ Sechs Leute haben sie gefragt, also nicht direkt Leute, sondern hauptsächlich Mitarbeiter. Da ist der junge Volontär, der sagt: „Wir wüssten nicht, wogegen wir aufbegehren sollen.“ Die 22-jährige Redakteurin die sagt: „Ich habe schon im Pubertätsalter nicht verstanden, wie mich sinnlose Auflehnung gegen die Eltern weiterbringen soll. Warum die Haare lila färben?“ Und die freie Journalistin findet: „Wir haben eine Wohnung, ein Auto und trinken Caipirinha in einer noblen Bar für 7,50 Euro, wenn uns danach ist – warum sollten wir auf die Straße gehen?“
Um es mit Aral zu sagen: Alles super. Und das, was nicht super ist, kann man halt nicht ändern, weil ja die Kassen leer sind und wir über unsere Verhältnisse gelebt haben. Die junge Redakteurin beschreibt eigentlich ziemlich genau die absurd hohen Anforderungen an einen Lebenslauf, die Arbeitgeber heute stellen: Auslandsaufenthalt, Praktika, gute Zeugnisse, das richtige Studium und das alles mit deutlich unter dreißig. Und die Schlussfolgerung: „Die von uns, die bei all diesen Vorgaben einen der begehrten Jobs ergattert haben, demonstrieren nicht, sondern freuen sich darüber und arbeiten, oder?“ Und mit dem, was dabei herauskommt, wenn überangepasste Streber die ganze Arbeit machen, werden wir jeden Tag belästigt. Sie machen die Zeitschriften, deren Inhalte die Werbekunden bestimmen, also fast alle. Sie schaffen es auf Seite drei eine schlechte Wirtschaftslage zu bemängeln und auf Seite 12 von Rekordgewinnen zu berichten. Sie entwickeln Arschloch-Autos, miese Mixgetränke und Handy-Luder. Und wenn die kreativsten der Kreativen für teuer Geld beieinander sitzen, steht am Schluss auf dem Clipboard: „Trinke Fanta, sei bamboucha.“
Sie freuen sich, wenn sie mitmachen dürfen beim Kapitalismus, doch nur den Besten gelingt es, sich komplett darin aufzulösen. Eins zu werden mit ihm. Kai Pflaume über Kai Pflaume: „Die Marke Kai Pflaume ist sehr breit aufgestellt.“ Das ist das Höchste: selber zur Marke zu werden. Ob meine Mutter das wusste, als sie früher zu mir sagte: „Du Pflaume bist mir schon so ‚ne Marke!?“
CHRISTIAN GOTTSCHALK
Fotohinweis: CHRISTIAN GOTTSCHALK lebt in Köln und sagt die Wahrheit – alle zwei Wochen in der taz