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Gottheiten aus schierer Datenmasse

■ Über allen Glasfaserkabeln ist Ruh: „Idoru“, der neue Roman von William Gibson, läßt eine Kunstfigur gegen ihr körperloses Leben revoltieren

Von Menschen geschaffene, künstliche Intelligenzen spielten nie eine große Rolle bei William Gibson, der 1984 mit seinem Debut „Neuromancer“ sämtliche verfügbaren Science-fiction-Preise abgeräumt hatte. Ihm war zwar zunächst nur eine kurze und ziemlich dünnblütige Cyberpunk-Welle gefolgt, aber nach seinem Vorbild tauschte ein Großteil seiner Kollegen die Astro- und Kosmonauten gegen Hacker und Konsolenjockeys aus und ließ die Raumstationen zugunsten riesenhafter CPUs verschrotten. „Neuromancer“ wurde noch auf einer Schreibmaschine getippt, aber noch bevor Gibson seinen ersten Computer zurückgab, weil er das typische Surren der Festplatte für einen Fabrikationsfehler hielt, war die Sci- fi-Welt nicht mehr dieselbe.

Gibson nämlich legte immer mehr Wert auf die Interaktion zwischen Mensch und Maschine, und zwar in jeder denkbaren Erscheinungsform. Es kommt vor, daß sich Teile des Datenraums verselbständigen. Aus der schieren Datenmasse entstanden Gottheiten im Cyperspace. Noch in seiner „Neuromancer“-Trilogie waren diese Wesen nicht klein und grün, vom Mars, sondern gestaltlose Gestalten, die auf Leiterplatten und Glasfaserkabeln herumgeisterten, als eben das, aus dem sie enstanden waren: Daten.

Seitdem überläßt Gibson das Entwickeln seiner Vision in weiten Teilen anderen. Er beschränkte sich zuletzt eher darauf, Teilaspekte der Trilogie auszuarbeiten. Nicht viel anders verhält es sich mit „Idoru“, seinem letzten und nun auf deutsch erschienenen Roman.

Hier ist es nun die titelgebende Idoru, ein von einem Medienkonzern geschaffene Kunstfigur, die dazu verdammt ist, ihr Leben körperlos im Internet zu fristen. Logischwerweise will sie aber über die ihr zugewiesene Rolle hinaus und löst damit hektische Betriebssamkeit in Seattle und Tokio aus und auf allen Datenleitungen, die es dazwischen gibt.

Man fragt sich ja, warum aus den Stoffen von Gibson, aus seinen immer schon sehr visuell, fast schon filmisch angelegten Romanen, aus seinen schnellen abgehackten Sätzen, die zuweilen fast schon an Regieanweisungen erinnern, bisher erst ein Film, „Jonny Mnemonic“ entstanden ist. Auch diesmal hat sich Gibson eines typischen filmischen Mittels bedient und wählte die Parellelmontage als Grundkonstruktion. In Seattle macht sich Chia, glühender Fan der Rockband Lo/Rez, auf den Weg nach Tokio, um dort im Auftrag der Ortsgruppe ihres Fanclubs das Gerücht aufzuklären, ob Sänger Rez tatsächlich eben jene Idoru ehelichen will.

In Tokio wartet Laney, ein Spezialist, der nach Medikamentenexperimenten in seiner Jugend größte Datenmengen visuell nach Strukturen absuchen und so die entscheidenden Informationen herausfiltern kann, auf ein Vorstellungsgespräch beim Sicherheitsdienst von Lo/Rez. Fortan nähern sich die Wege der beiden immer mehr an, kreuzen sich aber nicht wirklich, während um die beiden Hauptpersonen herum multinationale Konzerne, die russische Mafia und Reality-TV-Kongklomerate aufeinanderprallen. Was die atemlosen Sätze von Gibson an Tempo nicht schaffen, das schafft die Parallelmontage.

Gibson mag schon lange nicht mehr die Avantgarde in seinem Genre sein. Für ein ziemlich flottes Buch reicht es trotzdem allemal, auch wenn er von einem seltsamen Hohelied auf die Subkulturen und deren Chancen durch Anpassungsfähigkeit an die Informationsgesellschaft nicht ablassen kann. Thomas Winkler

William Gibson: „Idoru“. Rogner & Bernhard bei 2001, 312 Seiten, 30 DM

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