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Gorbatschow macht Zugeständnisse

■ Oberster Sowjet revidiert Entwurf zur Verfassungsreform / Präsident wird stärker kontrolliert / 58 Korrekturen eingebracht / Rechte der Republiken vertagt

Moskau (dpa/ap) - Gorbatschow hat bei der Sitzung des Obersten Sowjet der UdSSR sei ne Verfassungsreform vehement verteidigt. Der sowjetische Staats- und Parteichef wies Vorwürfe zurück, daß mit der von ihm initiierten Umstrukturierung zuviel Macht in einer Hand konzentriert werde. Bei der gestrigen Vorlage des Reformpakets erklärte er, daß das Prinzip der kollektiven Führung in Schlüsselfragen gewahrt bleibe. Die Verfassungsänderung sieht den Posten eines mit exekutiven Vollmachten ausgestatteten Staatspräsidenten vor.

Es gilt weiterhin als sicher, daß Gorbatschow dieses Amt anstrebt. Er kündigte aber an, daß - im Unterschied zum bisher vorliegenden Entwurf - in die zukünftige Verfassung ein Vetorecht des Obersten Sowjet gegen Entscheidungen des Präsidenten und des Präsidiums des Obersten Sowjet aufgenommen werden soll. Auch sollen die Rechte des Komitees für Volkskontrolle verstärkt werden. Mindestens einmal im Jahr soll die Staatsführung gegenüber den Parlamentariern Rechenschaft ablegen.

Nach Angaben des Kremlchefs wurden für die Reformvorlage in fünf Wochen über 300.000 Verbesserungsvorschläge aus der Bevölkerung gemacht. Daraus Zur Massenflucht in den kaukasischen Republiken resultierten 58 Abänderungen des Entwurfes. Die Anregungen der Bevölkerung beträfen viele Fragen der Wirtschaft, der Justiz und und der Regelung der Macht in den Territorien, die noch zu regeln seien.

Gorbatschow betonte, daß auch in der Verfassung selbst noch weitergehende Änderungen notwendig seien. Zuerst müsse man aber das ganze Leben demokratisieren. Deshalb sei das vorliegende Wahlgesetz ein „Startschuß“. Es gehe darum, „den Sowjets neues Leben einzuhauchen“, um die Selbstverwaltung des Volkes erst einmal zu ermöglichen.

Der Politiker erinnerte daran, daß in der Vergangenheit der Staatsapparat und die Verwaltungsorgane häufig die Sowjets dominiert haben. Deputierte, insbesondere Sowjets höherer Ebenen, übten nur geringen Einfluß auf den Vollzug der gefaßten Beschlüsse aus. In der nächsten großen Etappe der Umgestaltung der Machtstrukturen, sagte Gorbatschow, „werden Fragen des Status‘ der Unionsrepubliken und die Erweiterung ihrer Rechte und Möglichkeiten im politischen, sozialökonomischen und kulturellen Lebens sowie der Festigung unseres sozialistischen Föderativstaates“ entschieden. Zu diesem Zweck sei eine Arbeitsgruppe mit Delegierten aus allen Unionsrepubliken einzuberufen. Auch werde die Anzahl der Sitze der Unionsrepubliken im Obersten Sowjet erweitert.

Die Artikel, die die baltischen und kaukasischen Staaten „als Einschränkung“ ihrer Rechte empfunden hätte, seien verändert worden, sagte der Parteichef, Einzelheiten nannte er jedoch nicht.

Er wies darauf hin, daß auch die Rechte der lokalen Sowjets in einem weiteren Gesetzeswerk geregelt werden müßten.

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