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Gorbatschow in DeutschlandGorbatschow nach Oggersheim

■ Gorbatschow war in Bonn, um den Vertrag über eine Zusammenarbeit mit Deutschland zu unterschreiben. Seitdem er der Einheit zugestimmt hat, lobt Kohl die „neue Qualität“ der Beziehungen. Aber neue Kredite gibt's nicht, Investitionen lassen auf sich warten, in Moskau steht dem Präsidenten ein harter Winter bevor.

Kommt Gorbatschow? Kommt er nicht? Kommt er nach Berlin? Kommt er vor der Bundestagswahl? Erst vor wenigen Tagen konnten die Sprecher der Bundesregierung eine sichere Antwort auf die Fragen geben, die ihnen Bonner JournalistInnen über viele Wochen immer wieder gestellt hatten. Obwohl die innenpolitische Lage der Sowjetunion immer brenzliger wird, ist er nun da.

Nach außen gelten in Regierungskreisen zwei Unterschriften als „Höhepunkt“ des Besuches und „Beginn einer Phase der Kooperation, wie sie bisher noch nie mit Moskau bestanden hat“: Die Unterschriften von Kohl und Gorbatschow unter den „Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit“, vorbeitet bei dem Treffen Mitte Juli im Kaukasus. Die Regierungen beider Staaten verzichten darin auf jegliche Gebietsansprüche gegen irgendjemand, auf Gewalt und unterstreichen, daß der KSZE-Prozeß für sie verbindlich ist.

Gegen solcherlei Selbstverständlichkeiten hatte sich die Sowjetunion bei dem kaukasischen Treffen allerdings ihr Ja zu einem wiedervereinigten Deutschland in der Nato nicht abhandeln lassen. Vor allem steckt der Vertrag den Rahmen für eine intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit ab.

Überdies wird er flankiert von einem Vertrag über die Zusammenarbeit in Wirtschaft und Wissenschaft — den die Regierungschefs ebenfalls im Kaukasus beschlossen hatten — und ein Sozialabkommen. Im Wirtschaftsvertrag sichert die Bundesrepublik der Sowjetunion zu, sie umfassend zu unterstützen. Das Sozialabkommen soll, so Bonn, „positive Impulse für die Reformpolitik in der UdSSR geben. Die Deutschen sollen in der Sowjetunion eine Arbeitsverwaltung aufbauen, das Arbeitsrecht ausgestalten helfen, Arbeitsorganisation lehren, bei der Ausgestaltung des neuen Sozialsystems beraten.

So richtig einlassen will sich mit Grobatschow in Bonn niemand mehr. Außenminister Hans-Dietrich Genscher warnte vielsagend davor, über seine schwache innenpolitische Stellung zu spekulieren. Kohl rühmte die „neue Qualität“ der deutsch-sowjetischen Beziehungen, versprach aber nur allgemein weitere „Hilfe“.

Neue Kredite wird es nicht geben, nachdem Bonn 12 Milliarden Mark für den Abzug der sowjetischen Truppen zugesichert und für einen Fünf-Milliarden-Kredit staatlich garantiert hat. Wirtschaftsminister Haussmann kritisierte die deutsche Wirtschaft, sie investiere „zu zögerlich“ in der SU.

Kohl und Gorbatschow wollen erörtern, was beide Länder wirtschaftlich voneinander wollen. Konkret erklären muß sich in Bonn aber anscheinend vor allem Gorbatschow. Ein Kanzlerberater ließ durchblicken, daß Kohl darüber informiert zu werden wünscht, wie Gorbatschow sein marktwirtschaftliches Reformprogramm umsetzen will.

Wenn der Besuch Gorbatschows mit einem Abstecher nach Oggersheim zu Ende geht, wo vor hunderten von Fotojournalisten das weitere „private Kennenlernen“ vor dem Panorama von Kohls Villa zelebriert werden soll, dann wird über eines nicht geredet worden sein: den von Bonn verhängten Ausreisestopp für sowjetische Juden. Gefragt, ob dies ein Punkt auf der Tagesordnung sein werde, antwortete ein enger Kanzlerberater: „Wen interessiert denn das? Ist doch überhaupt kein Thema.“ Ferdos Forudastan

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