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Archiv-Artikel

Gnadenlos gegen den Gnadenlosen

In dem Roman „Dreckskerl“ beschreibt Wojciech Kuczok einen Kampf mit dem Vater

VON JAN FEDDERSEN

Einerlei kann bleiben, dass der Held dieses Buches sich im Laufe seiner Erzählung als heterosexueller Mann herausstellt, dass von einer Frau die Rede ist, von einem Ehering und von all den anderen Ingredienzen, die aus einem Mann einen Mann machen: Wojciech Kuczok hat mit seinem Buch „Dreckskerl“, das er als „eine Antibiografie“ verstanden wissen möchte, eine Geschichte zu erzählen, in der sich sehr viele Männer wiedererkennen können, homosexuelle aber vor allem. Denn der Kerl, der den Titel gibt, ist der Vater einer Familie, die im oberschlesischen Bergbaurevier um Kattowitz siedelt. Ein Monstrum, das der Erzähler niemals Vater nennt – weil er eben kein Beschützer und Ins-Leben-Begleiter ist, sondern ein Schläger, ein Peiniger, ein Virtuose sadistischer Erziehungspraktiken.

Gleichgültig also, aus welcher Perspektive der Erzähler sich nun nähert, um die Schneisen der Verwüstung durch Väter zu skizzieren, sich als Erwachsener schmerzhaft zu erinnern, wichtig zu sagen ist: Kuczok, Jahrgang 1972, ein in seiner Heimat gefeierter Star der Literaturszene, schreibt absolut kalt, ohne den begütigenden Willen zur sogenannten Familienvergangenheitsbewältigung, über seine Familie und damit über viele andere Familien.

Mütter mögen ihre eigenen Arten haben, ihre Kinder, Söhne wie Töchter, am Erwachsenwerden zu hindern, „der alte K.“, den Kuczok nicht Vater nennen möchte, will sein eigenes Am-Leben-Scheitern nicht einmal in den Blick nehmen und tobt es buchstäblich an seinem Sohn aus. In teils ekelhaft nahen Beschreibungen redet Kuczok nicht um die Sache herum. In allem, was er aufschreibt, wird diese Gewalt fühlbar. Da soll ein Kind, der Sohn, klein gehalten, zerstört und auf keinen Fall jemals liebesfähig werden.

Deutsche Familienromane, zumal jene, die sich beinahe tränenumflort um die biografischen Reste nationalsozialistischer Väter und Mütter ranken, solche wie „Meines Vaters Land“ von Wiebke Bruhns beispielsweise, enden ja gern in liebenswürdiger Versöhnlichkeit. Kuczok hingegen mag alles im Sinn gehabt haben, aber keine Lieblichkeit, auf dass sich alle, wenn denn einmal alles ausgesprochen sein sollte, in den Armen liegen können.

Dieses Autors Anliegen ist moralisch stimmiger: Es ist eines der Rache, der Vergeltung, des Gegenschlags in einem fiktiven Krieg, der aber ein innerfamiliärer stets bleibt, auch wenn das Buch alle politischen Verhältnisse spiegelt. Der Erste Weltkrieg, Polen, deutsche Truppen, die in des Helden Stadt nichts zerstören außer einer Synagoge, der reale Sozialismus wie der katholische Druck, schließlich das Kriegsrecht gegen die Solidarność wie auch die Zeit danach: alles nur Passagen des Äußerlichen, keine Entschuldigungsgründe für das, was, eben, dieser „Dreckskerl“ so anrichtet. Diese Idee, dem Äußerlichen der politischen Welt besser keinen besonders wichtigen Rang einzuräumen, besticht ja schon deshalb, weil die Familie – der Grad ihres inneren Terrors wie ihrer Verrohung, das Ausmaß ihrer Gütigkeit wie ihrer Weichheit – nie wesentlich im Zusammenhang mit dem sogenannten Ernsthaften der wirklichen Welt jenseits der familiären Privatheit steht. Kuczok ist so frei, solche bequemen Erklärungen brüsk von sich zu weisen. Einen Satz wie: „Ich konnte nicht anders, die Verhältnisse waren nicht so“, kann er nicht akzeptieren, denn diese waren ja friedlich im Polen der Nachkriegszeit.

Der Ich-Erzähler wünscht sich also alles in allem nichts als Zerstörung. Nie habe er, ausgeliefert der Gewalt und nachdem er ihrer gewahr wurde, etwas anderes gewollt, als es dem Peiniger heimzuzahlen, so gut und so rachevoll es gehe. In einer Fantasie ersehnt er sich herbei, dass das Haus, in dem der Horror seine familiäre Bühne hat, in den morschen Stollenschächten, auf denen es steht, einstürzen möge, mitgerissen dann der „alte K.“, ertränkt im Fäkalienschlamm, begraben in Schmutz und Unrat, für immer. „Ich floh mit geballten Fäusten in der Hose“, heißt es auf der vorletzten Seite, „ich floh in alle Richtungen zugleich.“ Besser kann nicht auf den Punkt gebracht werden, wie leer, wie einsam Rache macht – und wie vergebens sie sein kann.

Kuczok verdient Respekt, weil er sich jeder Gefühligkeit verweigert. Ein Sohn darf seinen Vater umbringen wollen – und, in einer Art ödipal inspiriert begangenem Tyrannenmord, es wenigstens zu genießen suchen. Rache könnte das Thema auch von Romanen sein, die Ähnliches wie dieser polnische Autor berichten, verdichten – und Schrecken stiften. Tatsächlich gibt es lediglich von dem schwedischen Schriftsteller Jonas Gardell vergleichbar kühle Arbeiten, die sich um Vergeltung drehen.

Homosexuelle zeigen sich schriftstellernd offenkundig immer noch nicht reif genug, Erlittenes auch mit wenigstens grotesk wütend formulierter Pein beantworten zu wollen, ja, es wenigstens einmal wütend denken zu können, zumal in einer Gattung, die einmal der echte Familienroman genannt sein soll. Möglicherweise ließe sich das sagen: Die Rolle des Kriegers, die Kuczok seinem Helden aneignet, wollen schwule Söhne nicht einnehmen. Keine Ahnung, warum.

Wojciech Kuczok: „Dreckskerl“. Aus dem Polnischen von Gabriele Leupold und Dorota Stroinska. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, 173 Seiten, 19,80 Euro