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GlobalisierungskritikerAttac streitet über Gewalt-Frage

Nach dem G-8-Gipfel in Heiligendamm debattiert die globalisierungskritische Organisation Grundsätzliches: Solidarität mit Steinewerfern?

Gefragter Autogrammeschreiber bei Attac: Heiner Geißler Bild: dpa

Peter Wahl wusste, dass es ein schwieriger Tag für ihn werden würde, zwei Monate nachdem er als Attac-Führungsmitglied in Rostock über die Steinewerfer gesagt hatte: Mit denen wollen wir nichts zu tun haben. Er hat sich vorbereitet auf einen einsamen Auftritt auf dem Podium, hat ein Zitat des Linguisten und linken Aktivisten Noam Chomsky mitgebracht, in dem von der "Fabrikation von gesellschaftlichem Konsens" die Rede ist, und sagt: "Der Kampf um die Köpfe ist doch der Ausgangspunkt von Attac."

Er meint die Köpfe in der gesellschaftlichen Mitte, mit denen zusammen Attac die Welt verändern könne. Doch auf der Sommerakademie in Fulda kämpft Peter Wahl um die Köpfe von 500 Attac-Aktivisten. Sie kreiden ihm an, die "Bewegung gespalten zu haben" und dass er seine Kritik nicht intern, sondern in der "bürgerlichen Presse" geäußert habe.

Neben Wahl auf dem Podium sitzt Frauke Banse, die mit "Block G 8" die Blockaden rund um Heiligendamm organisiert hat. Beim Zuhören beißt sie sich auf die Lippe. Dann sagt sie: "Peter, du hast die Polizei gelobt für ihr deeskalierendes Verhalten. Da ist mir die Klappe runtergefallen." Und dann habe er noch im Morgenmagazin von den "friedlichen Blockaden" gesprochen, obwohl er sie gar nicht organisiert habe. "Das hat uns die ganze Radikalität weggenommen."

Wer darf für wen in der Öffentlichkeit reden? Und wer bestimmt das Erscheinungsbild von Attac? Bei der sechsten Attac-Sommerakademie geht es um Grundsätzliches. Peter Wahl gestikuliert an diesem Nachmittag mehr als sonst, er redet sich fast in Rage: Man dürfe die Kritik nicht mit dem Spaltungsvorwurf unter den Teppich kehren, aus den Fehlern der Linken der letzten Jahrzehnte müsse man endlich mal lernen. Es gibt Applaus und Buhrufe. Attac hat seine Gewaltdebatte wieder, diesen "latenten Konflikt", wie ihn Bewegungsforscher Dieter Rucht nennt, der immer wieder hochkomme, ohne jemals abschließend geklärt zu werden.

2001 nach den Ereignissen von Genua und Göteborg hatte man sich bei der globalisierungskritischen Organisation auf eine Position der Gewaltfreiheit geeinigt. Das Papier dazu hat Peter Wahl mitgebracht. "Das ist nicht meine Privatmeinung, das ist Attac-Konsens", sagt er.

Wie brüchig dieser Konsens ist, erfährt er am frühen Abend in einer Arbeitsgruppe in Raum G 205 der Fachhochschule. Zwei Stunden lang reden sie aneinander vorbei: hier der Politstratege Wahl, der von "Gesprächen mit Staatssekretären", "glaubwürdigen Signalen der Polizeiführung", gesellschaftlicher Meinungsführerschaft und der Logik der Massenmedien spricht. Dort die zierliche Frau, die früher, wie sie sagt, für Joschka Fischer Steine gesammelt, aber nicht selbst geworfen habe, und sich über die "Provokationen der Polizei" beklagt. Oder die Frau, die sagt, dass auch die Steinewerfer Menschen seien, die man nicht ausgrenzen dürfe.

Einige bei Attac fürchten einen Linksruck als Folge des Bündnisses mit radikal linken Gruppen in der G-8-Vorbereitung. Andere fürchten, zu gesellschaftsfähig zu werden. Auf der Sommerakademie sind Letztere in der Mehrheit: Es sind diejenigen, die auch dann bereit sind im Zelt zu schlafen, wenn es wie in Fulda die ganze Zeit regnet. Sie müssen sich erst noch daran gewöhnen, dass am Abend ein Ex-CDU-Generalsekretär auf dem Podium sitzt und von Attac in der "Wir"-Form spricht.

Heiner Geißler lockt bei seinem ersten Kontakt mit der Attac-Basis fast alle 500 Teilnehmer der Sommerakademie in Halle 8. Er wird freundlich begrüßt, aber ein bisschen Misstrauen ist doch noch da. Dann erklärt er den Attaclern, dass sie für die Börsenumsatzsteuer und andere internationale Regeln zuständig sind und nicht für die Abschaffung des Kapitalismus. "Mit dem Begriff Antikapitalismus werden wir die Menschen in der Mitte nicht erreichen."

Als Geißler nach zwei Stunden Streit aufbrechen will, lassen sie ihn nicht gehen - erst muss er noch Autogramme schreiben, als neue Mitte von Attac.

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