Gleichstellung: Herrn Kalankes Pyrrhus-Sieg
Vor 20 Jahren gab sich Bremen als erstes Bundesland ein Gleichstellungsgesetz
Heute feiert der Senat, dass Bremen vor 20 Jahren einmal vorne war. Oder genauer: "Wir feiern nicht", sagt Ulrike Hauffe (siehe Interview), "wir würdigen die Arbeit der Frauenbeauftragten", die allesamt in die Obere Rathaushalle geladen sind.
Es gibt sie in jedem bremischen Betrieb, der einen Personalrat hat. Und Grundlage dafür ist das Landesgleichstellungsgesetz (LGG), das vor 20 Jahren verabschiedet wurde. Es war das erste in Deutschland - und signalisierte: Hier wird ernst gemacht mit der Idee, dass Frauen und Männer dasselbe Recht auf Beförderung haben sollen. Und dann kam der Herr Kalanke, und es schien so, als wäre alles für die Katz.
Es ist nämlich so, dass, wer vorne ist in der Gesetzgebung, mitunter auf die Nase bekommt. Eckhard Kalanke war Gartenbauarchitekt und hatte sich Anfang 1991 auf dieselbe Sachgebietsleitenden-Stelle beworben, wie die Gartenbauarchitektin Heike Gißmann. "Wir waren beide sehr gut", sagt sie heute.
Bei gleicher Qualifikation sei die Frau zu bevorzugen, regelte das LGG die Quote. "Ich wollte die Stelle nicht aufgrund des Gesetzes, sondern aufgrund meiner Qualifikation." Der Personalrat wars, der sich auf das neue Recht "gestützt und gestürzt" habe. Gißmann bekam den Job. Kalanke fand das "ungerecht". Und startete einen Prozessmarathon. "Das war ganz mörderisch", so Gißmann. Acht Jahre ging es durch alle Instanzen. Am Ende bekam Kalanke Recht - aber Gißmann behielt den Posten. Ein klassischer Pyrrhus-Sieg: Denn der Europäische Gerichtshof hatte zwar die Quotenregelung beanstandet, nach der "weiblichen Bewerbern automatisch Vorrang" hatten. Aber erstens war Kalanke sicher gut - aber Gißmann einfach besser. Und zweitens war mit dem Urteil auch die Quote nicht "mausetot", wie das Magazin Fokus jubelte. Sie bedurfte nur einer Ergänzung. Ein schlichter Halbsatz genügte: "Sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen", genießen Frauen bei gleicher Qualifikation auch heute noch Vorrang. "Ohne das Gesetz hätten Frauen null Chancen, als gleichwertige Kandidaten behandelt zu werden", sagt Gißmann. "Das ist noch immer nicht in den Köpfen angekommen."
Als das LGG verabschiedet wurde, waren 95 Prozent der Bremer Führungsposten mit Männern besetzt. Mittlerweile nähert man sich paritätischen Verhältnissen. Abgegeben hat das Land aber auch die frauenrechtliche Vorreiterrolle. Zwar gibts zum Fest ein Klagerecht, wenn Frauenbeauftragte im Besetzungverfahren übergangen werden. Aber Bremen gehört weder zu den elf Ländern, die Frauenbeauftragten Weisungsfreiheit zugestehen, noch zu den acht, die sie vom Dienst freistellen: Hier müssen sie sich selbst ausbeuten.
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