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Archiv-Artikel

Gewalt lässt sich verhindern

betr.: „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“, taz vom 6. 2. 04

Lässt sich krasse Gewalt unter Schülern und Schülerinnen in der Schule verhindern? Ich denke, es ist nicht besonders schwierig.

Asoziales Verhalten braucht einen Ort, an dem es stattfinden kann. Im sozialen Raum Schule gibt es sowieso nur ganz wenige Plätze, wo solche Dinge passieren können. Mit klaren Regeln, wann welche Türen abgeschlossen und welche offen sind, kann die Schulleitung ohne viel Aufwand sicherstellen, dass „Versteckspiele“ im Materialraum und anderswo einfach nicht möglich sind. Vielleicht trägt an mancher Stelle die Anbringung einer einfachen Vorrichtung dazu bei, dass die Tür zum „Materialraum“ offen bleibt. (Offene Türen beleben das Unterrichtsgeschehen. Ich finde es gut, wenn man im Flur mitkriegt, wie die Jugendlichen arbeiten.)

Dass die Grausamkeiten ausgerechnet unter berufslosen Jugendlichen stattfanden, finde ich dagegen aus gesamtgesellschaftlicher Sicht schon symptomatisch. Diese Jugendlichen werden in Schulen geparkt und vom richtigen Leben systematisch ferngehalten. Besser wäre es, wenn sie in die Unternehmen integriert würden, irgendetwas arbeiten könnten und abgestimmt auf ihre momentane Arbeit in angemessenen Abständen sinnvolle Schulungen absolvieren könnten, die sich vielleicht später zu einem Facharbeiterbrief addieren lassen. Aber dazu bräuchte die Gesamtgesellschaft Intelligenz und Macht. Also bleibt es, wie es ist. ROSEMARIE STEGER, München

Am Ende sind es wieder die Lehrer, bei denen der Handlungsbedarf da ist, sie müssten endlich mal in Gewaltprävention geschult werden, dann könnten die auch „damit“ umgehen und wären nicht so schrecklich unbedarft. Dieses Erklärungsmodell greift viel zu kurz, wir haben doch gar nichts dagegen, in Gewaltprävention geschult zu werden – so wie wir außerdem Kurse zum Umgang mit Missbrauch, Hochbegabung, Suizidneigung, Magersucht, Drogenprävention und Legasthenie, Kurse in Ernährungslehre, Power Point, Erlebnispädagogik, Mediation und Erste Hilfe besuchen. Ob Sie es glauben oder nicht, die Fortbildung der Lehrer wird die Pannen der Gesellschaft nicht komplett flicken können. Und es sind nicht die Lehrer, die verfügen, dass für Sprachkurse kein Geld mehr da ist und die Schüler deshalb selbst mit gegen null tendierenden Deutschkenntnissen einfach in eine Klasse „geworfen“ werden. Es sind auch nicht die Lehrer, die verfügen, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Klassengrößen selbst in den Problemklassen ausgeschöpft werden müssen. Es sind auch nicht die Lehrer, die schuld daran sind, dass man manchmal gar nicht weiß, wann man mit Schülern mal in Ruhe ein Einzelgespräch führen kann. […] Es sind auch nicht die bösen Lehrer, die den armen Kindern eine Lehrstelle vorenthalten. Es sind auch nicht die Lehrer, die schuld daran sind, dass gerade in Problemklassen viele Eltern sich komplett aus ihrer Erziehungsverantwortung herausstehlen und sich konsequent weigern, zu Gesprächsterminen zu erscheinen. Ich persönlich bin wie viele meiner Kollegen betroffen und entsetzt über derlei Sadismus und Bullying an einer Schule. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es Kollegen oder Kolleginnen geben soll, die eine solche Straftat nicht sofort melden würden, sobald sie davon Kenntnis haben, oder die wissentlich Augen oder Ohren vor so etwas verschließen. Sollte dies dennoch der Fall sein, wäre es selbstverständlich, dass diese Lehrer zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Aber man muss wohl sauber unterscheiden. Nicht die Lehrer waren hier die Täter, sondern Schüler haben einen Mitschüler in einer kaum entschuldbaren Weise gequält. Auch nur ansatzweise hier eine Mitschuld der Lehrer zu suggerieren, halte ich für populistisch, falsch und gefährlich deshalb, weil es die Suche nach Erklärungen und Lösungsansätzen, die vielleicht komplizierter, teurer und unangenehmer sind, als uns lieb ist, im Keim erstickt. […]

ANJA KLINGELHÖFER, Cölbe

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