■ Gewalt ist kein Mittel der Politik – wer diesen utopische Kern der Bündnisgrünen zerstört, zerstört die Partei: Hoffen auf den Weihnachtsmann?
Zum Glück kommt jetzt erst einmal Weihnachten. Gerade die Partei in Deutschland, die offiziell am wenigesten mit Kirche und kirchlichen Traditionen zu tun hat, hofft in diesem Jahr am meisten auf die Weihnachtstage. Nicht wegen der Bescherung, sondern weil zur Zeit jede Ablenkung recht ist. Wenn im Januar die Christbaumkerzen ausgepustet werden, ist auch im Konflikt um das Abstimmungsverhalten der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen zum Bundeswehreinsatz in Bosnien die Luft raus – hoffen zumindestens die Realos. Aber auch den Linken kann an einer erbitterten Konfrontation jetzt nicht gelegen sein, weil sie der Partei insgesamt nur schadet und vor allem, weil sich aus dem jetzigen Konflikt kein einfacher Ausweg anbietet.
Zerwürfnisse zwischen Partei und Bundestagsfraktion hat es in der kurzen Geschichte der Grünen immer gegeben. Sie wurden vor zehn Jahren wesentlich erbitterter ausgetragen, weil die Gegensätze wesentlich größer waren und die Partei einem ständigen, rasanten Wandel unterlag. Dieser Formationsprozeß forderte seine Opfer, ganze Gruppen spalteten sich ab, blieben links und rechts auf der Strecke. Mit der Fusion der West- Grünen und den ostdeutschen Bürgerrechtlern von Bündnis 90 wurde dieser Prozeß abgeschlossen. Die Partei hat weiterhin ihre Flügel, aber in den grundsätzlichen Fragen weiß sie doch, was sie will. Aus der Antiparteienpartei ist eine ökologische, linke Mittelstandspartei geworden. Sie kann, wenn sie gut ist, den Willen zur Macht an ein konkretes Reformprojekt koppeln und wirkt dann nach wie vor glaubwürdiger als ihre etablierte Konkurrenz. Dabei ist die gesamte Partei bescheidener geworden, je mehr reale Macht ihrin Kommunen, Ländern und auf Bundesebene zufiel. Das manchmal fast messianische Bewußtsein, einen ökologischen Genozid stoppen zu müssen, ist einer oft schon biederen Sachzwangpolitik gewichen, die für die Partei in anderer Weise gefährlich wird.
Daß die Eingemeindung in das herrschende Parteiensystem aber glücklicherweise noch nicht ganz gelungen ist, die grüne, auch die bündnisgrüne Partei sich einen utopischen Kern erhalten hat, zeigt der jetzige Konflikt. So wie die Sozialdemokratie lange daran glaubte, eine gerechte Gesellschaft errichten zu können, ist eine Mehrheit der Mitglieder der Bündnisgrünen der festen Überzeugung, daß Krieg, ja Gewalt ganz allgemein, kein Mittel der Politik ist. Bei keiner anderen deutschen Partei ist der Gewaltverzicht so fest verankert wie bei den Bündnisgrünen. Diese Überzeugung speist sich aus verschiedenen Quellen. Ein Teil der Partei ist geprägt von der Auseinandersetzung mit einer Kriegsgeneration, die die eigene Schuld verdrängt und den Faschismus als Betriebsunfall abgetan hat. Andere, Jüngere erlebten die staatliche Gewalt im Umgang mit Atomkraftgegnern oder Friedensdemonstranten. Die meisten (West-)Grünen setzten sich aber auch in ganz anderer Weise mit der von RAF, dem 2. Juni und anderen militanten Bewegungen der 70er Jahre ausgeübten Gewalt auseinander als der Rest der Gesellschaft. Dazu kommt die ehemalige Bürgerbewegung der DDR, die zurecht stolz darauf ist, das Honecker-Regime ohne Blutvergießen weggewischt zu haben.
Aus all dem formt sich ein Grundverständnis im intellektuellen, aber auch emotionalen Haushalt der Bündnisgrünen, das Gewalt gegen Menschen genauso ablehnt wie das gewalttätige Verhältnis der industriellen Gesellschaft gegenüber der Natur. Dieser utopische Kern ist der eigentliche Zusammenhalt der Bündnisgrünen und gleichzeitig das Motiv, das die Partei antreibt. Diesen utopischen Kern darf keine Gruppe innerhalb der Grünen zerstören, weil sie sonst die Partei zerstört. Der Grund, warum die Bosnien-Debatte innerhalb der Grünen anders geführt wurde als in allen anderen Parteien, ist eben dieser utopische Kern. Nahezu jeder/jede Grüne, die in Bremen ans Rednerpult ging und nicht zum Parteiestablishment gehörte, hat auf diesen utopischen Kern ganz offen Bezug genommen. Manchmal in bemitleidenswert naiver Art und Weise, aber immer getrieben von der Sehnsucht, den Opfern in Bosnien zu helfen, ohne in die Falle des Krieges zu tappen. Dieser utopische Kern der Bündnisgrünen – ob man das nun Pazifismus nennt oder nicht – ist es, der in Deutschland die Grünen als einzige organisiserte Kraft antreibt, nach anderen als militärischen Lösungen zu suchen. Auch der abgebrühteste Realo muß sich damit auseinandersetzen, bei Strafe des eigenen Bedeutungsverlustes.
Die Preisfrage für die Partei lautet jetzt: Haben diejenigen Mitglieder der Bundestagsfraktion, immerhin 22, die für den Bundeswehreinsatz in Bosnien gestimmt haben, dieses Selbstverständnis der Bündnisgrünen verletzt? Alle Beteiligten sollten sich gut überlegen, welche Antwort sie auf diese Frage geben. Formal geht es darum, inwieweit die Gewissensfreiheit des/der einzelnen Abgeordneten sich dem Mehrheitswillen einer Partei unterzuordnen hat oder nicht. Inhaltlich geht es aber um viel mehr. Die Partei muß klären, ob das Fundament der Gewaltlosigkeit noch trägt und ob es Situationen geben kann, in denen auch Leute, die auf diesem Fundament stehen, für Gewalt plädieren können. In den parteiinternen Debatten haben sich die Protagonisten der verschiedenen Positionen immer wieder versichert, daß unterschiedliche Antworten auf die bosnische Frage kein moralisches Gefälle nach sich ziehen. Die eine Position sei so respektabel wie die andere. Damit haben die Grünen anerkannt, daß alle Beteiligten sich auf dem gleichen Fundament bewegen. Das muß für 22 Mitglieder der Bundestagsfraktion genauso gelten, wie es für 10 gegolten hätte, auch wenn man ihr Abstimmungsverhalten für falsch hält. Joschka Fischer und andere BefürworterInnen des Einsatzes haben klargestellt, daß die Bosnienfrage für sie eine absolute Ausnahmesituation war, daß ein regelmäßiges Abweichen von der Mehrheitsmeinung der Partei nicht zu befürchten steht und sie in diesem einen Fall nach ausführlicher, breiter Diskussion eine Gewissensentscheidung für sich in Anspruch nehmen. Es entspräche dem bisherigen Niveau der Auseinandersetzung, diese Haltung zu akzeptieren und keinen parteiinternen Machtkampf daraus zu machen.Wenn die Partei jetzt versuchte, einen Teil ihrer profiliertesten Leute formal zu disziplinieren, schadete sie sich selbst und der Sache. Tatsächlich ist der Grundkonsens der Partei ja intakt. Es wäre töricht, ihn im nachhinein wirklich zu beschädigen. Jürgen Gottschlich
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