Gewalt in Afghanistan: UN-Mitarbeiter ermordet
Bei dem gewaltsamen Protest gegen eine Koran-Verbrennung in den USA sterben in Masar-i-Sharif bis zu zehn UN-Mitarbeiter und mehrere Demonstranten.
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KABUL taz | Acht ausländische Mitarbeiter der Vereinten Nationen, darunter eine Frau, sowie drei Afghanen sind getötet worden, als Freitag nachmittag eine Gruppe Demonstranten das UN-Regionalbüro im nordafghanischen Mazar-i Scharif stürmten. Weitere Mitarbeiter sowie 25 Afghanen sollen verletzt worden sein, der Leiter des UN-Büros schwer. Ein UN-Sprecher in Kabul bestätigte am späten Nachmittag (Ortszeit), das Mitarbeiter unter den Opfern seien, gab aber keine weiteren Details über die Identität der Opfer bekannt. Afghanischen Medien zu Folge seien fünf Wachleute unter den Toten; die UNO setzt häufig Nepalesen für diese Aufgabe ein, die im Innern von UN-Einrichtungen stationiert sind. Die Außensicherung besorgt die afghanische Polizei.
Die Attacke folgte auf eine Demonstration Tausender nach Ende des Freitagsgebets in der Blauen Moschee, der Hauptmoschee der Millionenstadt, die zunächst friedlich verlief. Sie hatte sich gegen die öffentliche Koranverbrennung gerichtet, die ein Geistlicher im US-Staat Florida am 20. März als Protest gegen die Terroranschläge vom 11. September 2001 veranstaltet hatte. Präsident Hamid Karsai hatte diesen Vorfall in einer Erklärung seines Sprechers vier Tage später als Versuch bewertet, "Spannungen zwischen den Religionen sowie Respektlosigkeit gegenüber dem Islam und allen Moslems der Welt" zu erzeugen.
Nach Aussagen von Augenzeugen in Masar-i Scharif gegenüber der taz waren einige der Demonstranten, die von der Moschee aus gezielt zum etwa einen Kilometer entfernten UN-Büro zogen, von vornherein bewaffnet. Sie schossen die Polizeiwachen nieder und entwaffneten sie, setzten Autos und Gebäude der UNO in Brand und schossen auf in die Enge getriebenen Ausländer. Zwei von ihnen sollen dem afghanischen Polizeisprecher der Region zufolge verschleppt und dann enthauptet worden sein. Bei der Räumung des Geländes durch afghanische Polizei kamen mindestens drei Demonstraten ums Leben.
Nicht nur die mitgeführten Waffen sprechen dafür, dass der Angriff vorbereitet gewesen sein könnte. Ein bekannter politischer Aktivist in Masar-i Scharif sagte der taz, dass es "klar gewesen" sei, "dass heute etwas passieren würde", nachdem bei Freitagsgebeten in Moscheen der Stadt gegen "die Ausländer" gepredigt worden war. Viele Einwohner waren danach trotz des freitäglichen Wochenendes zu Hause geblieben. Ähnliche, von Geistlichen angeführte Proteste in Kabul und Herat verliefen "von Verbrennungen amerikanischer Flaggen abgesehen" hingegen friedlich.
Zuvor hatte eine Serie von Operationen amerikanischer Truppen in Afghanistans Bevölkerung für Zorn gesorgt, bei denen eine Reihe afghanischer Zivilisten getötet wurden. Auch die Bilder des sogenannten "Kill Teams", US-Soldaten, die unschuldige afghanische Zivilisten ermordet hatten und in ihrer Heimat vor Gericht stehen, sind inzwischen auch in Afghanistan bekannt geworden.
Außerhalb des Stadtgebietes von Masar-i Scharif ist das von einem deutschen General befehligte Regionalkommando Nord der internationalen ISAF-Schutztruppe stationiert. Die Stadt selbst gehört zu den sieben Gebieten, in denen nach Ankündigung Karsais ab Juli die Sicherheitsverantwortung von den ISAF-Soldaten an die afghanische Regierung übergehen soll.
Mazar-i-Scharif ist eines der sieben Gebiete, deren Übergabe an die afghanischen Sicherheitskräfte erst vor wenigen Tagen angekündigt worden war.
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