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■ Geübte VielfaltDifferenz statt Stereotypen

Bei der Diskussion um interkulturelle Erziehung und Bildung stehen fast immer praktische Ansätze im Vordergrund. Eine theoriegeleitete Auseinandersetzung findet allenfalls am Rande des öffentlichen Diskurses, in einschlägig erziehungswissenschaftlichen Kreisen statt. Deutlich wird dies zum Beispiel bei der LehrerInnenausbildung: An nordrhein-westfälischen Universitäten müssen Studierende eine Einführungsveranstaltung in die Ausländerpädagogik besuchen, wo sie günstigstenfalls etwas über Konzepte und Ansätze zur interkulturellen Erziehung erfahren. Dabei werden so grundsätzliche Fragen wie die nach der gesellschaftlichen Konstruktion des Fremden, nach ethnischen, nationalen oder gar „rassischen“ Zugehörigkeiten in der Regel erst gar nicht gestellt. Wieder einmal ist die Beschäftigung mit den Symptomen eine pädagogische Pflicht. Sie ist aber auch – und inzwischen für viele – eine Herausforderung.

Pädagogik kann Politik nicht ersetzen, aber sie reflektiert immer auch einen politischen Standpunkt. Ich kann mich als Lehrerin mit den Stereotypen über TürkInnen, RumänInnen oder FranzösInnen auseinandersetzen und dies auch im Unterricht tun; ich kann rassistisch motivierte Beleidigungen von MitschülerInnen als „normale“ Beschimpfungen abtun, oder ich kann sie als Einschüchterungsversuche und Angriffe werten, die ganz eindeutig eine soziale Hierarchie widerspiegeln.

Die interkulturelle Erziehung ist nicht nur da gefordert, wo ethnische Minderheiten stark repräsentiert sind. Sie erschöpft sich nicht in einem Austausch über Kulturen, denn welche Kulturen sind dann gemeint? Identifizieren sich Kurden mit der türkischen Kultur, meinen wir also Nationalkulturen? Können Lehrende zu Vermittlern zwischen den Kulturen werden, ohne wiederum in Stereotypen zu verfallen? Muß es nicht vielmehr um eine Sensibilisierung für eigene Vorurteile, Stereotypen und Fremdbilder gehen? Wäre es nicht notwendig, die Fähigkeit, die Dinge zu hinterfragen, weiterzuentwickeln? Aus dieser Perspektive gilt es vor allem bei den Angehörigen der ethnischen Mehrheit anzusetzen, denn sie werden das kulturelle Klima weiterhin maßgeblich prägen.

Es liegt an den BildungsplanerInnen und -praktikerInnen, sich im Schulalltag mit der Realität einer multikulturellen Gesellschaft auseinanderzusetzen, neue Perspektiven zu entwickeln. Eine rein kompensatorische, auf die „Defizite“ der ausländischen SchülerInnen und ihre Integration ausgerichtete Pädagogik ist längst überholt und in der theoretischen Auseinandersetzung auch als untauglich entlarvt. Sabine Hornberg

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