Gesellschaft: Quälend langsame Aufarbeitung
Ein Polizist aus Baden-Württemberg prahlt mit Gewalt gegen „Zecken“ und verschickt über WhatsApp Hakenkreuze. Intern sind die menschenverachtenden Inhalte auf dem Handy des Beamten seit 2017 bekannt. Bald soll eine disziplinarrechtliche Maßnahme folgen, teilt das verantwortliche Präsidium mit.
Von Minh Schredle
Im August 2017 schreibt der Polizist Rainer Jäger (Name geändert), er hoffe, keine Post aus Hamburg zu erhalten. Das geht aus Nachrichtenverläufen hervor, die der Redaktion vorliegen. Jäger war wenige Wochen zuvor beim G20-Gipfel im Einsatz und stand im Verdacht, dabei einer friedlichen Demonstrantin grundlos das Wadenbein gebrochen zu haben. In privaten Chats beklagt der Beamte zwar, „die Tussi“ habe Anzeige erstattet. Den Ermittlungen sehe er aber gelassen entgegen, der Aufwand sei „mega unnötig“, denn auf dem Video zum Tatgeschehen „siehst null Komma null“.
Die Geschädigte, eine junge Lehrerin und Flamenco-Tänzerin, bekam schließlich 4.770 Euro als Kompensation für ihr gebrochenes Bein. Ein Verfahren zwischen ihr und der Polizei endete im Juni 2021 mit einem Vergleich vor dem Landgericht Hamburg, nachdem die Kammer zu erkennen gegeben hatte, dass sie den gesamten Einsatz am strittigen Tag für rechtswidrig hält: Das war am 8. Juli, einen Tag nach den schweren Ausschreitungen im Hamburger Schanzenviertel, als sich die Stimmung bereits wieder entspannt hatte – bis die Polizei mit brutaler Härte und ohne nachvollziehbaren Grund gegen eine friedliche Tanzdemo vorging.
Dass die Polizei als Institution bereit war, ein Schmerzensgeld zu zahlen, lässt sich als ein Schuldeingeständnis interpretieren (auch wenn es formaljuristisch keines ist). Ein konkreter Täter wurde allerdings nicht zur Rechenschaft gezogen. Der Beamte Jäger stand zwar im dringenden Verdacht, doch zu einem rechtskräftigen Urteil kam es nicht.
Bei allen Verdächtigten setzte das Gedächtnis aus
Auf den Videoaufnahmen zum Vorfall tragen alle involvierten Beamten Uniform und Helm, somit sind körperliche Merkmale kaum zu erkennen. Allerdings ist beim Täter eindeutig die Kennzeichnung „BFE 1160“ zu sehen. Damit ist klar, dass jemand von der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) des Polizeipräsidiums Einsatz aus Baden-Württemberg, Direktion Bruchsal, zugeschlagen haben muss. Mit dieser Information konnte der Kreis der potenziellen Täter auf drei Personen eingeschränkt werden.
Bei den anschließend eingeleiteten Ermittlungen scheitert die Aufklärung allerdings an Erinnerungslücken der drei Verdächtigten, die sich gegenseitig nicht beschuldigen wollen beziehungsweise gar nicht beschuldigen können, da bedauerlicherweise das Gedächtnis aussetzt. Hausdurchsuchungen lehnt das Amtsgericht Hamburg zunächst „aus Gründen der Verhältnismäßigkeit“ ab. Nur durch den beharrlichem Einsatz des Anwalts der Geschädigten korrigierte das Hamburger Landgericht diese Einschätzung schließlich. Zur Durchsuchung kommt es aber erst im Februar 2023, knapp sechs Jahre nach der Tat.
Überraschenderweise konnte trotz des langen Verzugs relevantes Material sichergestellt werden. Bei der Hamburger Polizei, die für die Ermittlungen zuständig war, heißt es in einem internen Vermerk, es seien verschiedene technische Geräte beschlagnahmt und forensisch ausgewertet worden, deren Inhalte „den Verdacht erhärten, dass es sich bei dem Beschuldigten [Jäger] um den Täter handelt. Zusätzlich wurden als Zufallsfunde diverse Gesprächsinhalte festgestellt, die auf eine hohe Gewaltbereitschaft und menschenverachtendes Verhalten des Beschuldigten [Jäger] schließen lassen“.
Als ein Chatpartner den Verdächtigten etwa wenig subtil mit „Du Hamburger Schlächter“ anredet, ist der sich sicher: „Mich kriegen sie nicht!“ Damit sollte er schlussendlich auch recht behalten. So entschied sich die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg nach langjährigen Ermittlungen dagegen, Anklage gegen Jäger zu erheben. Es habe zwar reichlich Hinweise gegeben, „dass dieser im Verlaufe der Hamburger Einsätze Gewalt angewendet und Gefallen hieran gefunden hat“. Doch hätten es die Funde nicht ermöglicht, dem Beschuldigten den konkreten Schlag gegen das Bein der Tänzerin „mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit nachzuweisen“.
„Hoch problematische Dienstauffassung erkennbar“
Obwohl die Beweislast nach Einschätzung der Generalstaatsanwaltschaft nicht für eine rechtskräftige Verurteilung ausgereicht hat, enthält der Einstellungsbescheid zum Ermittlungsverfahren den Hinweis, dass bei dem verdächtigten Beamten „eine aus hiesiger Sicht hoch problematische Dienstauffassung erkennbar“ werde. Einerseits äußert er in seinen Nachrichten deutlich Gefallen daran, Gewalt anzuwenden – so brüstet er sich nach einem Einsatz am 1. Mai 2019, eine „Zecke“ am Rande einer Demo so hart verprügelt zu haben, dass sie nicht mehr laufen konnte. Und er schreibt sogar einem Kontakt, der als „Mama“ eingespeichert ist: „Heute konnte ich seit langem endlich wieder einen Menschen schlagen“, das sei „richtig befriedigend“ gewesen, aber „Jetzt heim Couch und Bier“.
Zum anderen enthalten Jägers Konversationen zahlreiche Inhalte, die eindeutig als rechtsextrem einzustufen sind. Etwa wenn er und ein Kollege sich angesichts der Zustände im Land eine Enklave mit dem Namen „Nationalsozialistische Republik neu Deutschland“ wünschen. Oder wenn Jäger damit prahlt, er sei sehr früh „aufgestanden um einen deutsche Flughafen vor einer eselfickenden Fachkraft zu beschützen“ (alle Schreibfehler im Original). Zudem zweifelt der Prügelpolizist „an der Intelligenz jedes Polizeibeamten der kein rassist ist“.
Nach Informationen von Kontext ist polizeiintern bereits seit 2017 bekannt, wie Jäger sich in seinen Unterhaltungen äußert. Doch disziplinarrechtliche Maßnahmen sind eine komplizierte und sehr zeitaufwendige Angelegenheit. Wie das verantwortliche Polizeipräsidium Einsatz mit Hauptsitz in Göppingen auf Anfrage von Kontext bereits im April 2024 mitgeteilt hat, habe man dort zunächst auf den Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gewartet. Bei diversen Rückfragen der Redaktion lautete der jeweilige Zwischenstand im Mai, September und Dezember 2024, die Prüfung der „sehr umfangreichen Strafakte“ dauere noch an.
Strafrechtlich inzwischen verjährt
Neuigkeiten gibt es Anfang 2025: „Bei der Auswertung der Datenbestände wurden Videodateien festgestellt, die einen Verdacht von weiteren Straftaten begründeten“, teilt ein Polizeisprecher gegenüber Kontext mit. Daraufhin habe die Polizei das Material an die für politische Kriminalität zuständige Staatsanwaltschaft Karlsruhe weitergeleitet – die das Verfahren Anfang Februar 2025 eingestellt hat.
Kontext hat sich nach den Gründen erkundigt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft ging es bei dem Verdacht auf Straftaten um „verschiedene Videodateien“, die der Beschuldigte in den Jahren 2018 und 2019 über WhatsApp verschickt hat und die „sexuelle Inhalte, Menschen in Notlagen und verbotene nationalsozialistische Kennzeichen (etwa Hakenkreuzsymbole) enthalten haben sollen“.
Dass die Nachrichten mit den entsprechenden Inhalten verschickt worden sind, ist nicht weiter strittig. Fraglich ist aber ihre Strafbarkeit. Die Karlsruher Staatsanwaltschaft führt dazu aus: „Soweit die Tatvorwürfe das Versenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen betrafen, ist dies gemäß §§ 86, 86a StGB nur dann strafbar, wenn die Kennzeichen öffentlich verwendet oder (an einen größeren Personenkreis) verbreitet werden. Dabei genügt die Versendung einer Videodatei mit nationalsozialistischen Inhalten über ‚WhatsApp‘ zumindest dann nicht, wenn (wie hier) die Versendung in einem Chat lediglich an einen einzelnen Empfänger erfolgte und keine sonstigen Personen Kenntnis oder Zugriff auf die Inhalte erlangen.“
Während ein privates Hakenkreuz unter Polizisten damit generell nicht von strafrechtlicher Relevanz ist, käme das für andere Inhalte schon infrage – allerdings nur, wenn die Ermittlungen schnell genug vorangehen: „Soweit der Beschuldigte Videodateien mit sexuellen Inhalten und Menschen in Notlagen versendet und hierdurch widerrechtlich in die Persönlichkeitsrechte und den höchstpersönlichen Lebensbereich der gezeigten Personen eingriffen haben soll (§ 201a StGB), waren die Tathandlungen nach Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist jeweils bereits verjährt.“
Finalisierung noch nicht abgeschlossen
Neben der strafrechtlichen Relevanz stellt sich die Frage nach der charakterlichen Eignung für das Amt als Polizist – oder, in den Worten der Generalstaatsanwaltschaft, nach Jägers „hoch problematischer Dienstauffassung“. Acht Jahre nach Bekanntwerden der menschenverachtenden Inhalte auf Jägers Handy lassen die Konsequenzen auf sich warten. Doch das Disziplinarverfahren schreitet voran und befindet sich nun – so lautet die Auskunft der Polizei Ende September 2025 – „in der Finalisierung“. Und offenbar sind sogar Konsequenzen vorgesehen, wobei über die Details Stillschweigen bewahrt wird. „Es erfolgt derzeit die abschließende dienstrechtliche Prüfung des Sachverhalts mit Verfügung einer Disziplinarmaßnahme“, teilte ein Sprecher mit.
Ob sich einen weiteren Monat später schon etwas getan hat? In einer erneuten Auskunft vom 21. Oktober heißt es, eine Stellungnahmefrist für Jägers Rechtsanwalt laufe noch, „sodass die Finalisierung noch nicht abgeschlossen ist“. Über den Ausgang wird Kontext berichten.
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