Gesellschaft: Die Suffragette der Verkehrswende
Der eine will sie einbetonieren, der andereihr die Knochen brechen. Seit ihrem Bestseller „Autokorrektur“ lebt Katja Diehl mit solchen Drohungen. Der Grund: Siekämpft für eine lebensgerechte Mobilität.Auch als Beraterin von Baden-Württembergs Verkehrsminister Hermann.
Von Susanne Stiefel (Interview)
Im Hamburger Gängeviertel liegt Lüttopia, das neu eröffnete Büro von Katja Diehl, wo sie mit Freund:innen an der „kleinen Utopie“ einer lebens- und liebenswerten Mobilität bastelt. Gerade erarbeiten sie im „Lütti“ eine Konzeption für utopische Stadtführungen. Die 49-Jährige ist kämpferisch und faktenstark, knabbert an einer Melone, während sie ihre Mission ausrollt: eine Welt, in der Menschen Auto fahren können, aber nicht müssen. Ein Auftritt bei Anne Will hat ihr den Ruf einer Autohasserin eingebracht, was sich Anfang des Jahres zu einem Shitstorm in den Sozialen Medien auswuchs.
Frau Diehl, der Februar war Ihr Monat des Hasses. Morddrohungen gegen eine Frau, die sich für eine menschengerechte Mobilität einsetzt, das ist schon einigermaßen absurd.
Das müssten Sie mal den Herren sagen, und es sind fast ausschließlich Männer, die so reagieren. Einer wollte mich fünf Meter unter der A 45 einbetonieren, ein anderer mich mit 50 Stundenkilometern überfahren. Es wurde mir nachts um eins mit Lieferando eine Pizza an meine Privatadresse geschickt, die ich nicht bestellt hatte, mit dem schönen Namen Bonesmasher. Shitstorms bin ich gewohnt, aber das war eine neue Qualität. Ich habe einen Anwalt eingeschaltet.
Die gemeinnützige Organisation „Hateaid“, die sich für Menschenrechte im digitalen Raum einsetzt, hat den Shitstorm analysiert.
Das fand ich toll. „Hateaid“ nimmt an, dass in der Klimagerechtigkeitsbewegung immer mehr Leute mundtot gemacht werden sollen. Denn Mobilität ist für viele mit Auto verbunden, und das hat viel mit Lifestyle zu tun. Ich kann mir gut vorstellen, dass das gut ins rechte Narrativ passt: Die wollen uns was wegnehmen. Das Eigenheim und das Auto sind Heilige Kühe der deutschen Lebensweise.
Autofreie Mobilität für alle ist ja auch ein gewagtes Projekt. Jede:r sollte ein Recht auf ein Leben ohne eigenes Auto haben: Was meinen Sie damit?
Ich nehme die Perspektive von Menschen ein, die am wenigsten gehört werden. Das sind 13 Millionen Erwachsene in Deutschland, die keinen Führerschein haben, eine Riesenzahl. Und 13 Millionen Kinder, auch ohne Führerschein. 26 Millionen Menschen, die nicht selbstbestimmt mit dem Auto unterwegs sind. Ich habe in den Interviews zu meinem Buch „Autokorrektur“ gelernt, es müssen Alternativen zum Auto her und die müssen barrierefrei, sicher und bezahlbar sein. Und dann kommt erst klimagerecht. Wenn ich mich in einem Verkehrsmittel nicht sicher fühle, dann ist mir klimagerecht ein bisschen egal. Deshalb denke ich Mobilitätswende feministisch.
Okay, aber für Frauen bedeutet ein eigenes Auto auch Unabhängigkeit.
Aber warum redet dann keiner mit ihnen? Das finde ich paternalistisch. Es wird nur über Frauen geredet, nicht mit ihnen. Willst du wirklich mit dem Auto fahren oder hättest du gerne sichere Radwege, dass deine Kinder ab einem gewissen Alter auch sicher fahren können und dein Elternkalender entlastet wird? Es geht doch immer über die Köpfe der Betroffenen hinweg.
Warum sind Frauen mehr betroffen von einer aufs Auto konzentrierten Städte- und Verkehrsplanung?
Die weibliche Mobilität hat Ketten, während die männliche Erwerbsmobilität zur Arbeit und wieder zurückführt. Man nennt das Stichverkehr. Diese weiblichen Wegeketten brauchen gute Fußwege, gute Radwege, sichere Verkehrsmittel. Vieles an der Verkehrswende wird technisch betrachtet, wie das autonome Fahren. Männer fahren auf diese Techniken ab und ich verstehe das auch, denn was wir jetzt tun müssen, ist unsexy. Das heißt Flächengerechtigkeit und die Schwächsten nach vorne stellen. Das bedeutet, wir bieten den Kindern, den Alten, den Langsamen einen Raum, und das ist nicht technisch zu lösen. In der Mobilität sehen wir gespiegelt, welche Probleme unsere Gesellschaft hat.
Es fällt auf, dass es im Bereich der Veränderung Frauen sind, die sich engagieren: Luisa Neubauer, Greta Thunberg oder Carola Rackete. Sie werden als Suffragetten der Mobiliätswende bezeichnet.
Wir Frauen haben mehr zu gewinnen, die Männer mehr zu verlieren. Wenn wir wirkliche Gleichberechtigung herstellen, müssen Privilegien geteilt werden. Ich bin eine Suffragette, die versucht, ihre Privilegien als weiße gesunde Frau zu nutzen. Es kann keinen unfeministischen Klimagerechtigkeitspfad geben. Am Bild der Suffragette gefällt mir auch, dass sie nicht nur für ein Frauenwahlrecht kämpften, sondern auch mit dem Rad unterwegs waren.
Sie sind Aktivistin und beraten gleichzeitig die Politik: in Österreich die Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, in Baden-Württemberg den grünen Verkehrsminister Winfried Hermann. Wer lässt sich mehr sagen?
Das ist schwierig zu vergleichen. Während wir in Deutschland in Sachen Klimaschutz keinen Plan haben und Verkehrsminister Volker Wissing sich sogar gegen ein Tempolimit stellt, hat Leonore Gewessler einen Zeitpunkt festgelegt, bis zu dem sie klimaneutral beziehungsweise CO2-frei sein will und hat von da aus zurückdekliniert, was es dazu alles braucht. Es gibt ein Klimaticket, sie hat einen Tunnel und eine Autobahn nicht gebaut. Winfried Hermann ist ein Schachspieler, der geübt ist in verschiedenen Koalitionen, und er geht pragmatisch an die Probleme heran.
Hier in Baden-Württemberg beschäftigen Sie sich mit Mobilitätsdaten und mit dem Thema Mobilität 2030. Was ist da Ihr Job?
Hermann will in Baden-Württemberg bis 2030 eine weniger autozentrierte Mobilität ausrollen. Das fängt je nach Bevölkerungsdichte an mit einem Rufsystem, wo nach Bedarf gefahren wird. Je höher der Bedarf umso höher die Taktfrequenz und je größer die Busse. Ich hielt da eine Keynote und dann kamen die Herren von den Verkehrsbünden und alle haben sich beklagt, wie ambitioniert dieser Plan ist. Da ist Hermann aufgestanden und hat gesagt, klar ist das ambitioniert, was sonst? Der hat gesagt, 2030 will ich da sein und es gibt Meilensteine und die überprüfe ich.
Im Land von Porsche und Daimler macht man sich keine Freund:innen, wenn man weniger Auto will. Was ist jetzt zu tun?
Als Landesfürstin würde ich sagen, lasst uns schauen, was die Arbeitplätze der Zukunft sind. Wir brauchen etwas zwischen Pkw und starrem Minibussystem, kleinere flexible Fahrzeuge. Das ist meiner Meinung nach sogar ein Weltmarkt, weil überall Menschen zu Knotenpunkten gebracht werden müssen, wenn man vom Auto wegkommen will. Viele, die in diesen Konzernen arbeiten, riechen den Bedeutungsverlust, und nichts macht Leute aggressiver.
In den Städten ist Mobilität weniger ein Problem. Auto? Wie sollen die Leute zur Arbeit kommen?
Auch im ländlichen Raum bauen wir Strukturen, die das Auto zentrieren und zementieren. Die Bäckerei ist weg, der Metzger, der Frisör, die Buslinie. Und der Vollsortimenter ist auf der grünen Wiese weit draußen. Es wundert mich schon, dass man sich in diese Abhängigkeit begibt und dass so wenige auf dem Land eine andere Infrastruktur einfordern. Der Gamechanger im ländlichen Raum sind sichere Radwege und E-Bikes. Zehn Kilometer kann man damit machen, 50 Prozent der Wege im ländlichen Raum sind unter fünf Kilometer und 70 Prozent sogar innerörtlich. Und für die Kranken und Alten wäre das Ruftaxi da, das sie einen Tag vorher bestellen müssen.
Seit Juli hat die Hamburger Mobilitätsexpertin auch einen Titel aus dem Schwarzwald: Sie sind Schönauer Stromrebellin 2023, ernannt von den EWS, die sich seit Tschernobyl für sauberen Strom einsetzen.
Darüber freue ich mich sehr. Die Schönauer haben schon vor fast 40 Jahren verstanden, dass man etwas ändern muss. Als ich den Gründer, den alten Herrn Sladek, kennen gelernt habe, hab ich fast geheult vor Rührung. Schönau ist das beste Beispiel um zu zeigen, dass man auch aus der Zivilgesellschaft heraus Veränderungen schaffen kann.
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