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Archiv-Artikel

press-schlag Geschrumpfte Fußballwelt

Bundestrainer Jogi Löw will nur das Spiel der DFB-Auswahl steuern, nicht das Bewusstsein einer Nation

Jetzt hat er sein erstes Pflichtspiel hinter sich, der nette Herr Löw, genannt Jogi. Er kann zufrieden sein – und in aller Ruhe weiterarbeiten. Aber das wird ihm kaum gelingen, die Nationalmannschaft ist zu sehr Allgemeingut. Dennoch wird es ruhiger werden um die Person des Bundestrainers. Löw versteht sich als Fußballfachmann. Seine Welt ist die der Taktik. Seine Welt ist klein. Redet Löw vom Großen und Ganzen, dann meint er nicht mehr als das Spiel auf dem Platz.

Er wird der Nation keinen Mentalitätswandel verordnen wollen wie Jürgen Klinsmann, der den ohnehin schon großen Fußball noch größer geredet hat, indem er sich zum penetrant gut gelaunten Lautsprecher der Alles-muss-anders-werden-in-diesem-Land-Prediger aufgeschwungen hat. Er ist auch kein Volkstribun wie Rudi Völler, der die Arbeit der Medien als Scheißdreck bezeichnen und deshalb die Lufthoheit über den Stammtischen verteidigen kann. 2002 wurden die Deutschen Vizeweltmeister – der Star des Teams war der Trainer. Auf ihn hatte sich schon vor der WM das Interesse der Öffentlichkeit fokussiert. Liefen die Spieler 2006 im Entengang über den Rasen, hieß es: Klinsmann spinnt. Klinsmann war überall.

Und hinter ihm stand Löw und machte, was er am liebsten tut. Er arbeitete am Spielsystem. Die WM-Erfolge haben dafür gesorgt, dass über neue Trainingsmethoden nicht mehr gelacht wird. Das macht es Löw sicher leichter. Ihn wird so schnell keiner als Spinner bezeichnen. Vielleicht wird es deshalb länger dauern, bis die Fans im Stadion seinen Namen skandieren. Es wird mehr auf den Platz geschaut, nicht mehr so viel neben den Platz. Für die Mannschaft ist dies eine neue Situation. Sie kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass der Trainer alles auf sich zieht. Löws Spieler sind nicht die „Jungs“, vor die sich sowohl Völler und Klinsmann immer gestellt haben. Sie sind denkende Teile eines Systems.

Als Löw am Samstag gefragt wurde, warum er Schneider gegen Borowski ausgewechselt hat, lobte er nicht etwa den Leverkusener für sein Engagement, sondern: „Der Tim versteht viel von der Geometrie des Spiels.“ Ein neuer Ton herrscht in der Nationalmannschaft. Löw nimmt die Spieler stark in die Verantwortung. Werden sie ihr gerecht, die Fans auf den Rängen werden es ihnen danken. Löw-Sprechchöre könnten selten bleiben, auch wenn das Team erfolgreich spielt. ANDREAS RÜTTTENAUER