Geschichte ja, aber nicht vor unserer Tür

■ Denkmalamt will in Mitte und Wedding drei Mauerreste erhalten/ Diakonissen des Krankenheimes »Lazarus«: »Mauer vor der Tür unerträglich«/ Abgeordnete und Umweltsenator prüften vor Ort

Berlin. Sie hätte nichts gegen das 100 Meter lange Stück Mauer, sagt Christa Heckel, Oberste Diakonisse im Krankenheim »Lazarus« in der Bernauer Straße. Aber die Heimbewohner — und für die rede sie — könnten den Blick auf den Todesstreifen nicht ertragen. Hartmut Albruschat, Heckels Diakon, schlägt bei der Besichtigung mit Abgeordneten vor, das Mauermuseum ein Stück zu verschieben. Die Gedenkstätte soll auf dem Teil der ehemaligen Staatsgrenze eingerichtet werden, wo einst die Versöhnungskirche gestanden hatte. »Wie soll man das erklären?« fragt Manfred Fischer, Pfarrer der Versöhnungsgemeinde. Man könne den Betonwall doch nicht einfach anderen vor die Tür stellen, nur weil er einem selbst nicht paßt. Der Pfarrer zweifelt, ob der letzte Rest Mauer, der zwischen Wedding und Mitte stehen geblieben ist, tatsächlich so ungemein störe. Mitglieder seiner Gemeinde — die zum Teil gegenüber dem Stück deutsch-deutscher Geschichte wohnen würden — würden sich an warmen Tagen auf eine Bank in der Bernauer Straße setzen und auf das Bauwerk starren. Er will das Dokument erhalten.

Noch ist sich der Kultur- und Stadtplanungsausschuß im Abgeordnetenhaus nicht einig, ob die drei Orte in Mitte und Wedding, an denen ein Stück Mauer stehen geblieben ist, erhalten bleiben sollen. Deshalb ließen sich die Abgeordneten gestern mit dem Reisebus durch die Innenstadt zur Ortsbesichtigung kurven. Am nördlichen Rand des ehemaligen Gestapo-Geländes an der Niederkirchener Straße möchte Dieter Biewald, Vorsitzender des Kulturausschusses, die DDR-Wand in ganzer Länge erhalten. So könne eindrucksvoll gezeigt werden, daß die Demokratie über zwei totalitäre Staaten gesiegt habe — ohne Honeckers Regime mit dem Dritten Reich gleichsetzen zu wollen, sagt der CDU- Mann. Joachim Günther will dagegen nur ein Teil der Mauer stehen lassen. Denn Leute, die die Geschichte des Geländes »Topographie des Terrors« — überwiegend eine Rasenfläche — nicht kennen, würden nur noch aus touristischen Gründen kommen. Das Präsidium des Abgeordnetenhauses würde am liebsten gleich alles abreißen lassen, weil der Preußische Landtag, in den das Abgeordnetenhaus ziehen soll, nicht ohne weiteres per Auto zu erreichen wäre, erzählten Abgeordnete.

Ein Stück der ehemals 166 Kilometer langen Mauer ist auch am Invalidenfriedhof erhalten geblieben. Der Friedhof war im 18. Jahrhundert am damaligen Stadtrand gegründet worden, zunächst wurden dort nur Kriegsversehrte, im 19. Jahrhundert zunehmend Generäle und im 20. Jahrhundert sogar jene Widerstandskämpfer bestattet, denen am 20. Juni 1944 das Attentat auf Hitler mißlang. Sibylle Schulz, Mitarbeiterin des Landeskonservators, setzte sich gestern bei den Abgeordneten für den Erhalt ein. Nicht nur die Toten, die hier bestattet seien, würden die Folgen des Zweiten Weltkrieges begreifbar machen, sondern auch die Mauer. Sie wurde gebaut, weil Deutschland geteilt wurde. Dies sei eine andere Konsequenz des Krieges, argumentierte die Denkmalpflegerin. Volker Hassemer, Senator für Stadtentwicklung, hatte gestern nur Zeit für eine Ortsbegehung. Die Bedenken der Oberin Heckel wolle er ernst nehmen, versprach er der Diakonissin. Andererseits, so der CDU- Senator, müsse man die Mauer sehen, um sich an die Schrecken der DDR-Herrschaft erinnern zu können. Auch darüber will der Kulturausschuß am 6. Mai entscheiden. Dirk Wildt