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■ Gerry Adams' US-Reise wirbelt in London Staub aufPropagandaerfolg

Wohl selten hat eine Stippvisite so viel Aufregung verursacht wie die Amerikareise des nordirischen Sinn-Féin-Präsidenten Gerry Adams. In London monierten Minister, Hinterbänkler und Medien mit Schaum vorm Mund, daß Adams in den USA nicht nur als Staatsmann empfangen worden sei, sondern sich obendrein als solcher gegeben habe.

Die Vorwürfe sind grotesk. Seit Jahren fordert die britische Regierung von Sinn Féin, die „politische Arena zu betreten“. Seit Mitte der siebziger Jahre haben Londoner Regierungen Geheimgespräche mit Sinn Féin und IRA geführt, ohne daß von diesen Organisationen ein Waffenstillstand in Aussicht gestellt worden war. Jetzt, da Sinn Féin über die „Friedensinitiative“ der Regierungen in London und Dublin debattiert, soll Adams als Gangster behandelt werden. Und was die Medien angeht: Wenn Adams wirklich der skrupellose Terrorist ist, als den sie ihn porträtieren, warum verlangen sie von ihm dann eine Aufrichtigkeit, die sie von ihrer eigenen Regierung schon lange nicht mehr erwarten? Premierminister Major und sein Kabinett haben das Unterhaus schließlich monatelang belogen, als sie die geheimen Kontakte mit Sinn Féin und IRA hartnäckig leugneten.

Wenigstens hat der Adams-Auftritt die Zensurdebatte in Großbritannien wieder angefacht – nicht etwa, weil man das Interviewverbot von Sinn-Féin- Mitgliedern plötzlich für undemokratisch hält, sondern weil sich die halbe Welt darüber lustig machte, als die von CNN und NBC per Satellit ausgestrahlten Adams-Interviews wegen der britischen Zensur von einem Schauspieler synchronisiert werden mußten. In Irland hat Adams' Reise eine umgekehrte Strömung ausgelöst: Der frühere Labour-Minister und Vater des irischen Zensurgesetzes, Conor Cruise O'Brien, sagte, gebe man Terroristen Zugang zum Fernsehen, sei das dasselbe, als wenn man einen Fuchs in den Hühnerstall einlade. Wie aufgescheuchte Hühner reagieren denn auch viele Dubliner Politiker: Die „Progressiven Demokraten“ fordern nun sogar die Wiedereinführung des Zensurparagraphen, der gerade vor drei Wochen aufgehoben wurde.

Doch Adams darf sich keinen Illusionen hingeben: Zwar hat er einen wichtigen Propagandaerfolg erzielt, doch das entbindet ihn nicht von der Entscheidung über die anglo-irische „Friedensinitiative“. Klar ist, daß eine deutliche Mehrheit in den katholischen Ghettos Nordirlands und zumindest Teile der IRA diese Initiative – im Gegensatz zur Sinn-Féin-Führung – als kosmetische Übung ablehnen. Die Gefahr einer Spaltung steht wie so oft in der Vergangenheit wieder auf der Tagesordnung. Ralf Sotscheck

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