Generation Z und die Liebe : Der alte Sack
Unsere Autorin Ruth ist verliebt, wie schön. Allerdings ist der Mann etwas älter – 29 Jahre, um genau zu sein. Dazu hat irgendwie jeder eine Meinung.
taz FUTURZWEI | Wir hatten uns eigentlich ganz gut verstanden, die Frau am Tresen, Arsen und ich. Wir hatten über Clubs in Berlin geredet, dass die Kneipen immer gentrifizierter und die Menschen immer spießiger werden. Dann hatte Arsen seinen Arm um mich gelegt und mich geküsst und die Stimmung war gekippt.
„Ach, so ist das“, sagt sie, ext den doppelten Wodka, der die ganze Zeit vor ihr stand, und schaut mich mit einem Blick an, als hätte ich ihr gerade erzählt, ich würde darüber nachdenken, die AfD zu wählen. Oder ihren Hund umzubringen. Irgendetwas zwischen Entsetzen, Frust und Aggression.
„Was ist wie?“, frage ich irritiert.
„Na, du als junge Frau … liiert mit …“ Sie stockt.
„... mit einem altem Sack wie mir?“, lacht Arsen.
Die Frau lacht nicht.
Ich schaue sie an. Ihre Augen sind etwas trüb, sie versucht es zwar mit Make-up zu kaschieren, aber die Falten sind dennoch zu sehen. Die Haut ist nicht mehr so straff, die Haare dunkel gefärbt. Ich schätze sie um die fünfzig. Gerade eben hatte sie uns noch von freier Liebe erzählt und wie sie mal Punk war, damals Anfang der Neunziger. Jetzt überkommt mich ganz kurz ein schlechtes Gewissen, weil ich ihren fast schon bösen Blick auf meiner straffen Haut spüre und dann auf Arsen, der meine Haut auch noch schön findet.
Die vermeintlich freie Gesellschaft
„Dass du das super findest, ist doch klar“, schreit sie fast schon Richtung Arsen. Um dann mir mit mütterlich-verständnisvoller Stimme zuzuraunen: „Das sind doch bestimmt 25 Jahre zwischen euch.“
„29, um genauer zu sein“, sagt Arsen, aber den beachtet die Ex-Punkerin gar nicht mehr. Sie ist jetzt ganz darauf konzentriert, mir ins Gewissen zu reden: „Ist dir das nicht etwas zu viel? Du bist ja noch sooo jung …“
„Aber Kinder bekommt ihr bitte nicht“, sagt eine Kollegin sehr ernst.
„Ich bin 28“, sage ich. In einem Alter, in dem ich doch endlich machen und lassen kann, was ich will, denke ich mir. Und dann, dass es jetzt keinen Sinn macht, ihr das zu erklären, weil sie sich in ihrer Fassungslosigkeit schon den zweiten Wodka bestellt hat und irgendwas vor sich hinbrummt wie: „Na ja, jeder so, wie's ihm gefällt.“ Ihr gefällt es offensichtlich nicht.
Ich frage mich, warum es ihr überhaupt irgendwie zu gefallen oder nicht zu gefallen hat. Wenn es doch mir und Arsen gefällt. Und das müsste doch reichen, in unserer vermeintlich freien Gesellschaft hier mitten in Berlin-Kreuzberg? Ich starre auf den regenbogenfarbenen „Free Love Pride“-Sticker auf dem Zapfhahn vor mir. In meinem Kopf hallen Sätze aus den letzten Monaten.
Was man sich alles anhören muss
„Aber Kinder bekommt ihr bitte nicht“, sagt eine Kollegin sehr ernst.
„Frauen suchen oft einen Mann mit Lebenserfahrung, der ihnen Sicherheit bieten kann“, meint die Illustrierte beim Zahnarzt.
„Bringt er's überhaupt noch?“, fragt ein Freund, dessen Nummer ich sofort aus meiner Telefonliste lösche.
„Du musst auch bedenken, dass er in einigen Jahren alt, gebrechlich sein könnte, vielleicht musst du ihn dann sogar pflegen“, klärt ganz fürsorglich die Kollegin wieder auf.
„Wie ist eigentlich ihr Verhältnis zu Ihrem Vater?“, hakt der Therapeut nach.
„Kannst du dich nicht mal altersgemäß verhalten?“, sagt Arsens Schwester zu ihm.
„Also, mit diesen ganz jungen Leuten … das wäre mir zu stressig“, meint sein Mitbewohner.
„Ihr scheißt einfach auf alle Konventionen, geil!“, sagt ein Kumpel.
„Das Geld passt ja dann bestimmt gut“, meint meine Cousine.
„Kannst du zahlen, ich bin völlig pleite“, unterbricht mich Arsen im Denken. Ich muss lachen. Vitalität und ein junger Körper gegen Geld und Sicherheit, vielleicht sogar Berühmtheit. Das scheint das gängige, ja gar das einzige Narrativ zu sein, das eine solche Beziehung erklärbar macht. Jedenfalls beim Großteil der selbsternannten Experten, auch wenn man sie nicht einmal nach ihrer Meinung fragt. Schon werden Leonardo DiCaprio und seine wechselnden Freundinnen erwähnt, die nie älter als 25 Jahre werden dürfen. Oder Peter Maffay, dessen fünfte (!) Frau 38 Jahre jünger als er ist. Ein klares Zeichen toxischer Männlichkeit, oder? Wer kann, lässt die alte verbrauchte Frau einfach abtropfen und holt sich die nächste „trophy wife“. Und die Frauen? Lassen sich – noch so jung und unerfahren – verführen vom Geld. Und wenn das nicht da ist, dann wird eben ein noch nicht aufgearbeiteter ödipaler Komplex dahinter stecken. Freie Liebe unter mündigen Erwachsenen ist ja schön und gut. Aber in so einem Fall kann da was nicht stimmen. Das weiß die besorgte Kollegin genauso gut wie die unbekannte Frau in der Kneipe. Aber was ist eigentlich mit Paaren wie Heidi Klum und Tom Kaulitz oder Brigitte Macron und ihrem Mann? Da ist sie jeweils deutlich älter als er. Und was heißt eigentlich „deutlich“ älter?
taz FUTURZWEI N°28: Weiterdenken
Wer ist „Der kleine Mann“, wer sind „Die da oben“, wie geht „Weltretten“, wie ist man „auf Augenhöhe“ mit der „hart arbeitenden Bevölkerung“? Sind das Bullshit-Worte mit denen ein produktives Gespräch verhindert wird?
Über Sprache und Worte, die das Weiterdenken behindert.
U.a. mit Samira El Ouassil, Heike-Melba Fendel, Arno Frank, Dana Giesecke, Claudia Kemfert, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Bernhard Pörksen, Bernhard Pötter, Florian Schroeder, Paulina Unfried, Harald Welzer und Juli Zeh.
„Age-Gap“ und „Gentleman-Rule“
Die sogenannte „Age-Gap“ liegt in Deutschland laut Statistik nur bei knapp drei Prozent der Paare bei 16 Jahren und mehr. Bei etwa 55 Prozent liegt der Altersunterschied bei höchstens vier Jahren. Und eine Studie der Emory University aus Atlanta – so lese ich weiter – habe nun bestätigt, dass ein geringer Abstand tatsächlich die stabilste Langzeitbeziehung verspreche, ja ein niedrigeres Trennungsrisiko bewirke. „Auf lange Sicht könnten die unterschiedlichen Lebens- und Entwicklungsabschnitte das Zusammenleben erschweren. Angefangen bei banalen Dingen, wie verschiedenen Lieblingssongs aus der Jugend bis hin zur körperlichen Fitness oder sexuellen Vorlieben, die sich altersbedingt unterscheiden“, erfahre ich und bin ganz froh, dass meine Lieblingssongs eher aus den 1970ern stammen. Und, dass ich Arsen mittlerweile erklären konnte, was „cringe“ und „lost“ bedeuten, damit wir uns ganz ungezwungen unterhalten können.
Auf Twitter erfahre ich, dass es eine ganz klare Regel zu geben scheint: Die Gentleman-Rule von 1901. Sie besagt, dass das perfekte Alter der Partnerin eines Mannes die Hälfte seines Alters plus sieben ist. Jedenfalls – so die Community – darf dieses auf gar keinen Fall überschritten werden. Sonst wird es problematisch.
„Laut Gentleman-Regel bin ich sieben Jahre zu jung für dich“, sage ich zu Arsen, als wir zu Hause angekommen sind. „Außerdem liegt die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns trennen, bei 95 Prozent.“
„Joa, kann sein, aber gerade habe ich nicht das Bedürfnis danach“, sagt Arsen und dann reden wir lieber über all die anderen Dinge, die uns viel mehr interessieren. Legen eine Platte auf, schimpfen über die Politik, schmieden Revolutionspläne und schlafen miteinander.
Später denke ich nochmal darüber nach, wie Arsen und ich uns damals über den Weg gelaufen waren und uns sofort gemocht hatten. Klar, das mit diesem Altersunterschied kam etwas unerwartet. Ein bisschen kokettierte ich anfangs damit, es hatte was von einem französischen 1970er-Jahre-Film. Aber dann hatten wir auch Besseres zu tun und vergaßen unsere verschiedenen Geburtsjahre.
Unser Umfeld tat das nicht.
Ganz banale Liebe
Bin ich etwa in einem patriarchalen Rollenmuster gefangen und sehe es nicht? Brauche ich einen älteren Partner, der mich mit seiner Lebenserfahrung sicher durchs Leben führt? Und hat Arsen eventuell ein Peter-Pan-Syndrom, ein pathologisch unangemessen kindliches Verhaltensmuster und möchte sich durch mich wieder jung fühlen?
„Immerhin sind wir beide pleite“, sage ich laut. „Also fällt das schonmal weg, dass ich hinter deinem Geld her bin.“
„Ja, es muss wohl doch einen anderen Grund geben, warum, du mit mir abhängst … aber welchen nur?“, sagt Arsen und grinst.
„Vielleicht bin ich einfach ein komischer Mensch, der sich verliebt hat?“
„Unwahrscheinlich“, sagt Arsen. „Das wäre viel zu banal.“
Das ist es vermutlich: ganz banale Liebe. Ich mag einfach unsere romantische Begegnung im Hier und Jetzt. Aber wahrscheinlich kann ich das – in meiner Verliebtheit – gerade nicht richtig beurteilen.
MODERN LOVE ist eine wunderbare Rubrik in der New York Times on Sunday – Geschichten über Liebe, Ende der Liebe, menschliche Beziehungen. Das machen wir hier auch.
Dieser Beitrag ist im Original in unserem Magazin taz FUTURZWEI N°28 erschienen. Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe von taz FUTURZWEI gibt es im taz Shop.