Gemeinschaftsschulen in BaWü: Im gefühlten Aufwind
Sie setzen große Hoffnungen in Grün-Rot. In Baden-Württemberg haben die Unterstützer von Gemeinschaftsschulen erste Anträge auf längeres gemeinsames Lernen eingereicht.
Frühlings Erwachen im Südwesten: Nach der Wahlniederlage der schwarz-gelben Regierung hoffen Schulleiter und Bildungsexperten, dass Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg künftig länger gemeinsam lernen können.
"Wir erwarten von der neuen Landesregierung, dass sie Bildungspolitik betreibt, die zum Abbau sozialer Ungerechtigkeit führt. Dazu gehört die frühe Trennung nach der vierten Klassen in Gymnasiasten, Real- und Hauptschüler zu beseitigen", meint Doro Moritz, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die GEW ist in Baden-Württemberg nach eigenen Angaben die größte Lehrergewerkschaft.
Sie wisse von 60 bis 70 Anträgen auf eine Gemeinschaftsschule von Klasse eins bis zehn, sagt Moritz. Die müssten von der neuen Regierung jetzt rasch geprüft würden: "Dann könnte es schon 2012 erste Gemeinschaftsschulen geben."
Bis zum 27. März vergilbten diese Anträge im Posteingangsordner des CDU-geführten Kultusministeriums. Als eine der letzten Länderregierungen hielten CDU und FDP am streng dreigliedrigen Schulsystem fest. Ganze drei Gesamtschulen gibt es in Baden-Württemberg, sie bieten alle Schulabschlüsse an. Doch statt auf diese Weise Schulstandorte zu sichern, weil die Schulart "Hauptschule" als dritte Säule wegen Schülerschwunds wegzubrechen droht, restaurierte die ehemalige Landesregierung die Hauptschule noch letztes Jahr zur Werkrealschule.
Längere Grundschulzeit
Allein 350 Hauptschulen auf dem Land droht weiterhin das Aus, weil sich nicht genügend Schüler anmelden. Drei Gemeinden hatten deshalb 2010 vor Gericht auf Erhalt ihrer Standorte geklagt und recht bekommen. "Wir hoffen, dass die neue Landesregierung die Revision gegen dieses Urteil zurücknimmt", sagt der Kusterdinger Bürgermeister Jürgen Soltau. Seine Wannweiler Kollegin Anette Rösch gesteht, sie sei nicht unfroh über den Wahlausgang: "In jeder Veränderung steckt ein Aufbruch, und den können wir sicher gebrauchen."
Sowohl Grüne als auch SPD favorisieren in ihren Wahlprogrammen eine längere Grundschulzeit und schreiben von Gemeinschaftsschulen. Rudolf Bosch, Rektor der Kuppelnau-Hauptschule in Ravensburg, betont, er setze große Hoffnungen und Erwartungen auf die neue Landesregierung. Als "Oberschwäbischer Rebell" forderte er bereits vor vier Jahren gemeinsam mit rund 100 anderen Hauptschulrektoren das Ende des dreigliedrigen Schulsystem. "Wir haben über Jahre versucht, eine gewisse Bewegung ins Schulsystem zu bringen", sagt er der taz.
Bereits in dieser Woche will die von ihm geleitete pädagogische Arbeitsgemeinschaft in Ravensburg nun ein Konzept für eine inklusive Angebotsschule bis zur 10. Klasse veröffentlichen. Bosch ist zuversichtlich, dass die Stadt den Antrag im Frühsommer im Stuttgarter Regierungspräsidium abgeben kann.
Die im Philologenverband organisierten Gymnasiallehrerinnen und -lehrer bangen bereits um das Gymnasium und um den Wert des klassischen Abiturs. "Wir brauchen das Gymnasium ab Klasse 5", bekräftigt der baden-württembergische Vorsitzende Bernd Saur. Und warnt: "Wir werden sehr genau hinschauen, wo die bildungsnahen Grünen ihre Kinder künftig hinschicken: ins Gymnasium oder in die Gemeinschaftsschule."
Weder die GEW noch die Schulrebellen wollen aber die Gymnasialfans brüskieren. "Wir wollen keine neuen Gefechte mit den Gymnasien", so Bosch, "sondern Modellschulen, eingefügt ins Gesamtspektrum." Dabei setze man auf eine breite Bürgerbeteiligung, auf einen Wechsel von unten. "Bis der Wechsel geschafft ist, werden die ersten Schülerinnen und Schüler aus einer solchen Schule selber Lehrer sein."
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