: Geistig-religiöser Widerstand
Helmuth James von Moltke war gerade einmal 37 Jahre alt, als er am 23. Januar 1945 im Gefängnis Berlin-Plötzensee von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Günter Brakelmann hat über den Begründer des Kreisauer Kreises anlässlich dessen 100. Geburtstag eine gründlich recherchierte Biografie veröffentlicht.
Vor allem der erste Teil ist hervorragend. Sehr anschaulich, mit zahlreichen Briefen und Fotografien, schildert der Autor die Kindheit und Jugend des jungen Moltke im niederschlesischen Kreisau. Stark geprägt war er durch seine weltoffene und warmherzige Mutter Dorothy, eine Südafrikanerin.
Sie hatte als Touristin auf dem Gut Kreisau Moltkes Vater kennengelernt. Beide verliebten sich, heirateten und wurden schon bald zu Außenseitern unter den schlesischen Großgrundbesitzern – wegen ihrer liberalen Einstellungen. Diese liberale Grundhaltung übertrug sich, so Günter Brakelmann, auch auf ihren Sohn Helmuth James.
Im Zentrum des zweiten Teils der Biografie stehen Moltkes politische Entwicklung, sein Studium der Rechtswissenschaften und seine Reisen, vor allem in den Dreißigerjahren nach England. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, überlegte Moltke immer wieder: Bleiben oder emigrieren? Er entschied sich zum Widerstand in Deutschland.
Einen breiten Teil des Buches nehmen die Diskussionen des Kreisauer Kreises zur staatlichen Ordnung nach der NS-Diktatur ein. „Als Grundlage einer europäischen Identität sah [Moltke] die gemeinsame christliche und humanistische Tradition. [Er] war einer der wenigen im Widerstand, die in diese Richtung dachten“, schreibt Brakelmann
Moltke nutzte seine Stellung als Völkerrechtler in der Abteilung Ausland/Abwehr beim Oberkommando der Wehrmacht, um Verfolgten bei der Flucht zu helfen, Erschießungen von Geiseln zu verhindern und Kontakte zu ausländischen Widerstandsgruppen zu knüpfen. Während er in Berlin arbeitete, führte seine Frau Freya das Gut im schlesischen Kreisau. Dort fanden zwischen 1942 und 1943 die drei Kreisauer Treffen statt.
Günter Brakelmann konzentriert sich darauf, mit Fleiß und Sachkenntnis interessante Fakten, vor allem zum politischen Werdegang Moltkes, zusammenzutragen. Das ist für die Biografie eines so eindrucksvollen und charismatischen Menschen zwar sehr aufschlussreich, aber zu wenig. Und daher gelingt es dem Autor nicht, dem Leser diese „Lichtgestalt“ des deutschen Widerstandes, den ganzen Menschen, wirklich nahe zu bringen.
Im dritten Teil macht Günter Brakelmann überzeugend deutlich, dass es Moltke und den Kreisauern nicht nur um eine Überwindung des Nationalsozialismus ging, sondern um eine geistig-religiöse Erneuerung Deutschlands. Packend schildert er Moltkes verstärkte Hinwendung zum Christentum, vor allem während seiner Haft. Anhand von bisher unveröffentlichten Dokumenten zeigt er, welche Kraft Helmuth James von Moltke aus der Lektüre der Bibel zog. Und er geht auf die Auseinandersetzungen Moltkes am Volksgerichtshof mit Roland Freisler ein. Dieser sei für Moltke eine Symbolfigur dafür, worum es in dem Prozess eigentlich ging: die Zerschlagung des christlichen Abendlandes.
SUSANNE VON SCHENCK
Günter Brakelmann: „Helmuth James von Moltke. 1907–1945“. C. H. Beck, München 2007, 432 Seiten, 24,90 €