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GehirndopingPillen für Karriereköpfe

Heute schon sind leistungssteigernde Psychopharmaka weit verbreitet. Dabei ist über deren Wirkung und Nebenwirkung nur sehr wenig bekannt.

Vor allem bei Prüfungsstress wird häufig zu leistungssteigernden Pillen gegriffen. Bild: dpa

Haben Sie heute schon gedopt? Diese Frage könnte laut Wissenschaftlern bald zum guten Ton gehören. Dabei ist nicht die Rede vom morgendlichen Kaffeegenuss, sondern von angeblich leistungssteigernden Medikamenten, die in Studenten- und Managerkreisen bereits weit verbreitet sind. Doch inwiefern ist es überhaupt schon möglich und legitim, kognitive und emotionale Fähigkeiten gesunder Menschen mit Hilfe der Pharmakologie zu steigern?

Um hier mehr Klarheit zu bekommen, fordert Elisabeth Hildt, Professorin an der Uni Mainz, eine aufklärende Diskussion zum Thema Neuroenhancement. "Die Öffentlichkeit reagiert zur Zeit sehr übersteigert, was die Einnahme von Pillen angeht, die angeblich das Denken verbessern", meint die Medizinethikerin.

Verschiedene Substanzen – von Ritalin über Modafinil bis hin zu Antidementiva – sind auf dem Markt. Bei einer Umfrage der DAK gaben immerhin 22 Prozent an, bereits einmal mit diesen Medikamenten "nachgeholfen" zu haben. Dabei ist die Wirksamkeit dieser Präparate oft fraglich.

"Die Wirkung von Modafinil beispielsweise können Sie vergleichen mit dem Trinken von circa sechs Tassen Kaffee", räumt Elisabeth Hildt ein. Bislang sei es auch noch gar nicht gelungen, die Fortschritte der Hirnforschung so umzusetzen, dass überhaupt Moleküle mit den gewünschten Wirkungen hergestellt werden können. Das gezielt eingesetzte Gehirndoping sei somit noch ein Wunschdenken.

"Und bei den heute verbreiteten Medikamenten fehlen zum einen empirische Daten zur tatsächlichen Wirkung", erläutert die Mainzer Wissenschaftlerin. Zudem ist nur sehr wenig über den nichtmedizinischen Gebrauch bekannt, sodass nur eingeschränkt Rückschlüsse möglich sind.

"Zum anderen wissen wir, dass sie oftmals so wirken, dass vielleicht eine Fokussierung, also eine kurzfristige Konzentrationssteigerung möglich ist, aber sie gleichzeitig die Lernfähigkeit herabsetzen können. Weitere Nebenwirkungen wie Schlafstörungen, Unruhe, depressive Phasen etc. sorgen zudem für Bedingungen, die ein sinnvolles Lernen nicht unbedingt unterstützen."

Es ist also ein Unterschied, ob man ein aus dem chemischen Gleichgewicht gebrachtes Gehirn wieder in Richtung "Normalform" zurückbringt oder ein funktionierendes Gehirn optimieren möchte.

Doch nicht nur die Wirkungen und Nebenwirkungen bereiten den Wissenschaftlern zunehmend Kopfzerbrechen. Die Frage der gesellschaftlichen Entwicklung ist ein zentrales Thema in der Diskussion.

"Eine für Neuroenhancement ,geeignete' Medikation wird es irgendwann hochwahrscheinlich geben", sagt Benedetta Bisol, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berliner Humboldt-Universität. Sie arbeitet dort im BMBF-Verbundprojekt "Translating Doping – Doping übersetzen". "Um die gesellschaftlichen Folgen einzuschätzen, müsste man sich eher über die geeignete Indikation unterhalten. Neuro-Enhancement-Präparate, so wie allgemein alle Substanzen, die eine psychoaktive Wirkung haben, sind an sich nicht ,gut' oder ,schlecht'", so Bisol.

"Stellen Sie sich als Beispiel den Fall vor, in dem ein Chirurg oder ein Mörder von einer Substanz profitiert, die ermöglicht, kaltblütiger zu werden und eine firmere Hand zu bekommen. Aus dem Gebrauch der gleichen Substanz ergeben sich unterschiedliche Folgen", erläutert die Wissenschaftlerin. "Enhancement ist nicht besser und nicht schlechter als die Gesellschaftsordnung, der es entstammt, würde ich behaupten: es ist zunächst nur ein Mittel, das zur Verfügung stehen wird." Doch wie könnte eine konkretere Folge für die Gesellschaft aussehen?

Der Kauf der Medikamente wird nur auf Rezept möglich sein. Dann gäbe es aber auch Ärzte, deren Aufgabe nicht nur darin besteht, Krankheiten zu heilen, sondern auch Menschen zu "dopen".

"Auch hier sehe ich aber keine Möglichkeit, Enhancement prinzipiell zu verbieten, weil es nicht zum Heilauftrag passt. Wenn es so wäre, würden wir heute schon auf Verhütung verzichten müssen. Kinder zu kriegen, jedes Mal wenn man fruchtbar ist, ist bekanntlich keine zu behandelnde Krankheit", so die Wissenschaftlerin aus Berlin.

Wachsendes Unbehagen macht sich bei einigen Wissenschaftlern breit, wenn über die mögliche einseitige Leistungsoptimierung diskutiert wird. Was ist das für eine Form der Gesellschaft, deren Wert allein auf Leistung abzielt und nach ständigen Optimierungsbemühungen ihrer Mitglieder strebt?

"Oftmals sind es sehr ehrgeizige Menschen, die zum Gehirndoping greifen", meint die Mainzer Professorin Hildt. "Daraus könnte eine Art Zugzwang entstehen, um nicht benachteiligt zu sein", meint sie zu den Gefahren des Missbrauchs. Eine Vernachlässigung anderer Lebensbereiche könnte außerdem die Folge sein.

"Man hört doch selten, dass jemand in seinem Leben zu wenig gearbeitet hat; diese verstärkte Leistungsorientierung gibt es allerdings erst in den letzten 50 Jahren, das muss ja nicht so bleiben", gibt Hildt zu bedenken. Auch das Problem der Nebenwirkungen werde wahrscheinlich nicht behoben werden können, selbst wenn es nicht um gesundheitsgefährdende Wirkungen gehen wird.

Vielleicht merkt sich der Mensch schneller und besser, was er über ein Thema gelernt hat, er potenziert vielleicht aber auch seine Fähigkeit, sich andere Sachen zu merken, die gleichzeitig passieren und die er vielleicht hätte schnell vergessen wollen.

"Bei dem Griff zur Pille fällt die Selbstformung, die der dauerhaft an sich arbeitende Mensch erfährt, weg - er hat seine Leistung nicht aus eigenen Kräften wie zum Beispiel durch Konzentration oder Meditationsübungen erbracht", meint dazu auch der Philosoph Roland Kipke vom Interfakultären Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen.

Die Schnelligkeit und Einfachheit, die sich auf den ersten Blick als Vorteil erweist, könnte sich somit sogar negativ auswirken. Schon 1972, als sich die ersten Anzeichen einer Enhancement-Diskussion entwickelten, prägte der US-Psychiater Gerald L. Klerman den Begriff des "pharmazeutischen Calvinismus" (moralisch gute, anstrengende Arbeit vs. moralisch schlechte mittels Enhancement).

Zudem müssten zunächst einmal rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die Techniken zur Steigerung der Hirnleistung auf sinnvolle Pfade zu lenken. "Eine Lösung kann aber auch keine Infantilisierung der Gesellschaft sein: wenn jemand freiwillig und kompetent diese Präparate einnehmen will, der soll es auch tun können", so die Meinung von Bisol.

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19 Kommentare

 / 
  • RJ
    Robert Johannes

    Das scheint ja ein lukratives Geschäft mit den Gehirnen zu sein. Schon die alten Nazipsychiater

    haben Gehirne konserviert. Mal sehen, wie lange es braucht bis die Menschen wieder herausfinden, daß sie keine Gehirne sind, sondern unsterbliche geistige

    Wesen.

  • T
    Tim

    Erstens lässt sich an der leichtfertigen Nutzung irgendwelcher Gehirnmärchen wie der magischen Zahl 10% recht gut erkennen, wer keine Ahnung von der Materie hat (das lose Umherwerfen von Begriffen wie Neurose und Psychose, wobei letzterer im Prinzip nicht mehr verwendet wird, ebenso), zweitens sind Stellungnahmen wie

     

    "Wer die natürliche Funktion eines gesunden Gehirns für falsch hält und glaubt, sie mit Chemikalien verändern zu müssen, der ist psychisch hochgradig gestört."

     

    einzig und allein subjektive Ansicht. Sind einige hier wirklich so engstirnig, zu glauben, ihre Meinung zu einem Thema sei ein bis auf biophysiologische Ebene geltendes Gesetz? Ein bisschen mehr Selbstreflektion wäre wünschenswert. Und um Gedanken in diese Richtung vorzubeugen: Nein,ich habe weder je Neuroenhancer benutzt noch habe ich es vor. Trauriger Weise scheint es vielen schlicht unmöglich, mal von einer automatisierten moralischen Grundverdammung wegzukommen, wenn das Thema nicht in etwas bekanntes oder gemochtes schlägt.

  • D
    DrogenSindDoof

    Wir leben bereits in einer biochemischen Umgebung. Es gibt kaum mehr natürliche Lebensmittel, chemische Lebensmittelfarbstoffe, chemische Geschmacksstoffe usw. Daneben noch die Enhancer in Stoffen, in Möbeln usw. Die Folgen sind diffizil und nicht einer bestimmten Substanz zuordenbar. Mit Psychopharmaka soll nun auch noch der Geist geformt werden. Ich weis, die Geisteswissenschaften stehen heute nicht sehr hoch im Kurs, aber jede „Verbesserung“ (soweit überhaupt nachweisbar) ist nur durch Einschränkung und Fokussierung möglich. Der Rest stirbt ab. Wir werden zu Robotern. Wollen wir dass den wirklich?

  • H
    hto

    @Claudia

     

    "Menschheit" (multipel gespalten in systemrationalen Neurosen und Psychosen), die ihre Welt- und "Werteordnung" auf Naturgesetzmäßigkeiten aufbaut und somit an "gesundes" Konkurrenzdenken im "freiheitlichen" Wettbewerb glaubt (normal ist schizophren), die hat nicht einmal ein solches Gehirn verdient - und mit schwachsinniger Gentechnik wird auch schon kräftig daran gebastelt dieses für's System zu optimieren!?

  • H
    hto

    @Ellen

     

    Und wenn man sich aufgrund bestimmter Erfahrungen bewußt ist, daß die Forschung mit der Ahnung von 10% der Hirnnutzung (die "göttliche Sicherung"!?) richtig liegt, dann wird angesichts der Überproduktion von systemrationalem Kommunikationsmüll jegliche Stimulans dieser "individualbewußten" 10% zum Blödsinn :)

     

    Angesichts unseres "Zusammenlebens" wie ein Krebsgeschwür, haben die Selbstmörder (bewußt & unbewußt) die höchste Moral / das wahrhaftigste Verantwortungsbewußtsein.

  • C
    claudia

    >>Aber das Gehirn ist es eben nicht

  • E
    Ellen

    So lange davon ausgegangen wird, dass das Gehirn das jenige ist welches, kann man Menschen glauben machen, das sie hier etwas mit Tabletten tun können. Aber das Gehirn ist es eben nicht. Wenn man sich alleine mal vorstellt, wieviele Informationen ein Mensch hat und speichern kann, dann kommt doch mit Sicherheit die Frage auf "Gibt es da doch irgend etwas, das über all diesen physikalischen Dingen steht, oder?

  • C
    claudia

    >>Besser als Neuroenhancer können sein:

    Liebe,ein langer Spaziergang, was malen,mit Stöcken und Steinen was machen,Musik machen, Phantasie, sich Verbündete suchen-- alles, was einen in Kontakt mit sich selber bringt und das kostet meistens so gut wie nichts.

  • S
    Struppi

    Habe letzte Woche auf n.tv einen Werbefilm über solche "leistunssteigernde" Pillen gesehen und fand es pervers. Die haben sogar vor den, für Medikamentenwerbung verpflichtenden, Warntext "Bei Risiken & Nebenwirkungen fragen Sie..." einen weiteren kurzen Hinweis "Bei Demenz, affinitiven Wirkungen & Depressionen..." geschaltet!

    "Bist du zu schwach, schluck dich fit!", oder so?!

    Erinnert dorch irgentwie an "GATACA", nicht.

  • A
    atypixx

    "Der Kauf der Medikamente wird nur auf Rezept möglich sein."

     

    Sicher. Und Viagra bekommt man auch nicht übers Internet, da muss man schon den Weihnachtsmann drum bitten.

  • ST
    schräger Tühp

    Das Thema, daß Sie hier bearbeiten, sollte nicht heißen "Neuroenhancement", sondern schlicht "Medikamentenmißbrauch".

    Mit den üblichen Ursachen wie Überlastung, Depressionen, "funktionieren" müssen.Letzteres erzählen uns andere und wir übernehmen diese Botschaft nur allzubereitwillig, wundern uns dann, warum wir den fremdkontrollieren Anforderungen nicht Genüge tun können und sind dann traurig. Neuroenhancer können helfen, Probleme zu lösen, sollten aber nicht vor dem Hintergrund von instrumenteller Funktionalität eingesetzt werden, sondern als Brücke, um an sich und seine Gefühlswelt besser heranzukommen. Die Menge macht das Gift. Gute,verständnisvolle Ärzte braucht´s, die sich mit dieser Materie dezidiert auseinandersetzen.

    Besser als Neuroenhancer können sein:

    Liebe,ein langer Spaziergang, was malen,mit Stöcken und Steinen was machen,Musik machen, Phantasie, sich Verbündete suchen-- alles, was einen in Kontakt mit sich selber bringt und das kostet meistens so gut wie nichts.

    Die besten Sachen im Leben gibt´s umsonst (aber nicht vergebens).

  • M
    Monika

    Ja, auch das Verbot von "recreational drugs" gehört zur Infantilisierung der Gesellschaft und dringend aufgehoben. Auch vor allem wegen der großen Bedeutung der Drogen-Prohibition für die Finanzierung des organisierten Verbrechens.

  • C
    claudia

    >>...bis dato noch halbwegs gesunde Menschen an ein immer kranker werdendes System anzupasssen.>>

     

    ...das sich damit selber reproduziert.

     

    ich hatte immer behauptet, diese 24-Std.-Hochtourigaktivkeinezeitzumdenken-Typen würden koksen.

    Da hab ich wieder was dazu gelernt...

  • KK
    Karl Kraus

    Infantilisierung der Gesellschaft? Durch ein Verbot bestimmter Dinge? Na dann... So ist also das Verbot psychisch zerstörerischer Substanzen (vulgo: Drogen) eine Infantilisierung. Dä!

    Aber vielleicht können wir es einfacher haben: Da es ohnehin nur auf Haben, Vorzeigen des Habens und Output (Leistunghihihihi) ankommt, könnten die, die wollen, einfach ein Handy, eine Packung Pillen und einen riiiiiesigen Fernseher kaufen und sich dann erschießen. Dann ist nur noch das übrig, was wirklich von Wert ist. Der fehlerhafte und nicht letztoptimierbare Müll, der noch am perfekten Output hindert, würde dann beerdigt.

    Unsere Gesellschaft ist zu faul, um wirklich fleißig zu sein.

  • H
    hto

    In Amiland geht der Trend zur Stimulans durch Implantate mit Reizstrom - man muß nicht erst Parkinson u.a. entwickeln, "Forschung ist die beste Medizin"!?

  • H
    horch

    ja, kein problem, wird ja keiner zu gezwungen werden, solche mittel zu nehmen...

    und wieso regen sich überhaupt so viele leute über doping im (rad)sport auf, ist doch jedermanns persönliche sache, und es wird ja auch niemand dazu gezwungen, sich zu dopen - genau...

  • F
    Frankster

    Ich betrachte diese Versuche des sog. Neuroenhancement lediglich als neue Mittel, bis dato noch halbwegs gesunde Menschen an ein immer kranker werdendes System anzupasssen.

  • M
    mati

    Ein interessanter Artikel, der das Thema aus vielen Perspektiven betrachtet, ohne sich in für Laien zu komplizierten Details zu verlieren. Sehr schön auch das Schlußwort, in welchem die Verantwortung des Einzelnen noch einmal angesprochen wird - die Dosis macht's letztlich, und dass man sich die Freude am nüchternen Leben bewahrt.

  • C
    co_abhaengige

    Als Ex-Partnerin eines Modafinil-missbrauchenden Pharmareferenten finde ich den Artikel verharmlosend. Der Biorhythmus, der dadurch entsteht, ist mörderisch! Tagelang weder essen noch schlafen, dann genau umgekeht, also richtig manisch-depressiv, zuletzt sogar Paranoia und bei jeder Kleinigkeit, jedem falschen Blick in die Luft gehend.

    Ich war so geblendet, aus Liebe und weil er ja vom Fach war ("ich weiss das, das hat keine Nebenwirkungen, ich bin vom Fach, du bist verkehrt und zu schlapp") Die Mitarbeiter werden von den Vorgesetzten aufgefordert, zu dopen, wenn sie Termine nicht einhalten können. Jetzt haben meine Nebennieren schlappgemacht, evtl. sogar Stressdiabetes...