Geheime Regeln : KOMMENTAR VON ROBERT MISIK
Man gewöhnt sich langsam an die Enthüllungen jener Fasson: „Die rot-grüne Regierung war scheinheilig, hat nur in Sonntagsreden den Irakkrieg kritisiert, im Geheimen aber mitgemacht.“ Doch abgesehen von der Frage, wer denn da pünktlich ab Abtritt des Schröder/Fischer-Kabinetts im Wochenrhythmus heikle Details aus dem deutsch-amerikanischen Diplomatieverkehr preisgibt, ist ebenso diskussionswürdig, worin genau denn der Skandal eigentlich bestehen soll.
Der Bundesnachrichtendienst beließ zwei Agenten nach Kriegsbeginn im Irak, nach eigenem – nachvollziehbarem – Bekunden, um Zugang zu eigenen Informationen zu behalten. Dass der BND die Kontakte zu einem in Normalzeiten „befreundeten Dienst“ – der CIA nämlich – nicht schroff abgebrochen hat, ist eigentlich nicht überraschend. Dass die Spielregeln, die in diesen Kreisen herrschen, intakt blieben, ist auch nicht sonderlich sensationell: Informationsaustausch ist ein Geben und Nehmen, und wer künftig etwas erfahren will, muss Vertraulichkeit garantieren können.
Die rot-grüne Regierung hat den Kriegskurs der USA kritisiert – doch daraus folgt keineswegs, dass sie sich wider alle realpolitische Vernunft hätte verhalten müssen.
Das Gleiche gilt letztlich auch für das Verhalten der deutschen Stellen, nachdem sie vom amerikanischen Botschafter über die irrtümliche Verschleppung eines deutschen Staatsbürgers in ein CIA-Verlies nach Afghanistan erfuhren. Hätte Otto Schily tatsächlich das Vertraulichkeitsgebot brechen sollen – im sicheren Wissen, dass er dann eben in einem künftigen Fall nicht mehr informiert werden würde? Hätte die Bundesregierung, die ohnehin in jedem zweiten Leitartikel dafür geprügelt wurde, dass sie die Freundschaft mit den USA schwer belaste, jede Woche zweifelhafte Aktivitäten der Amerikaner öffentlich an den Pranger stellen sollen – noch dazu auf der Basis vertraulicher Informationen?
Man braucht nicht viel Fantasie, um sich die Kommentare von Opposition und der Leitpresse auszumalen, hätte die Schröder-Regierung einen solchen abenteuerlichen und unnützen Konfrontationskurs gegenüber den USA gefahren.