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■ Gegen die Wechselfälle der Ehe und der ProstitutionEine letzte Sicherung

Wir leben bekanntlich im Zeitalter der Krise. Gegen Krise hilft nur Sicherung. Eine Versicherung. Das wußten bereits die frühen Sozialwissenschaftler, weshalb sie dazu übergingen, den Modernisierungsgrad einer Gesellschaft am progressiven Anstieg kapitalkräftiger Versicherungsgesellschaften abzulesen. Statt Hab und Gut, Haus und Scholle gilt seither die Versicherung als existentieller Schutz gegen alle Unbill des Lebens. Als eine der letzten gesellschaftlich relevanten Gruppen haben sich neuerdings die Prostituierten dieses ambivalenten Symbols bürgerlicher Sekurität bemächtigt. Mag das Geld auch über die weltweiten Finanzmärkte „huren“ – daß Geld nicht stinkt, weiß schließlich schon der Volksmund.

Schon Karin Michaelis, streitbare Medienfrau der zwanziger Jahre, setzte auf das Assekuranzprinzip und hielt dem nachinflationären, unsicherheitsgebeutelten Zeitgeist ihr Modell der „Scheidungsversicherung“ entgegen. Dadurch sollten die scheidungsbedrohten Frauen von der Willkür frauenfeindlicher Ehegesetze und zahlungsfreudiger Ehemänner erlöst werden. Der Vater, so der unorthodoxe Gedanke, möge seine Tochter schon bei der Geburt gegen die Folgen einer Scheidung versichern. Davon versprach sich die Autorin nicht nur die finanzielle Autonomie der Betroffenen, sondern auch behaglichere Ehen. In Amerika, so die Prognose, habe das Unternehmen wohl die besten Erfolgsaussichten, weil der amerikanische Mann „in erster Linie Geschäftsmann“ sei.

Was aber passiert, wenn die Idee der Versicherung selbst in die Krise gerät? Wenn die galoppierende Krise alle Absicherungen dem kathartischen Kollaps zutreibt und am Ende nur noch der versicherungstechnische Offenbarungseid bleibt? Im Kleininseratenteil der großen Blätter weht postfeministischer Zeitgeist, der von der lautlosen Abwicklung kollektiver Sicherungssysteme erzählt: „Hübsche Vierzigerin“, heißt es da etwa, „sucht großzügigen Mäzen für ambitionierten Lebensstil. Späteres Erbe angenehm.“ Und neulich erzählte eine Freundin in der Kneipe, ihr einziger Ausweg aus der sich abzeichnenden Altersarmut sei die Aussicht auf eine gute „Rentenpartie“.

Was würden wohl unsere frauenbewegten Großmütter, die gegen „Doppelmoral“ und Prostitution zu Felde zogen, zu dieser Wiederauferstehung der Konvenienzehe sagen? Die Risiken, die der Heirats- und der Liebesarbeitsmarkt bereit halten, haben so manche Gemeinsamkeit, und gegen die Wechselfälle der Ehe und des Körperhandels ist nur ein Kraut gewachsen – eine Versicherung! Ulrike Baureithel

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