Gedanken für eine bessere Gesellschaft: Nur mit Pluralität und Toleranz

Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie gehen ans Eingemachte: Welche Art Wandel wollen wir und wie?

Eine Demonstation auf dem Berliner Alexanderplatz.

Eine Möglichkeit für Veränderung? Demonstrieren – wie hier auf dem Alexanderplatz in Berlin Foto: Pierre Adenis

Im Kampf gegen Diskriminierung dürfen wir uns nicht auseinanderdividieren.

Erstens: Diejenigen, die das schreiben, sind alt, weiß, männlich, privilegiert. In den Augen mancher (und es werden mehr), sollten solche Leute mal schön den Mund halten. Das ist nicht völlig falsch. Sie sollten besser zuhören, keine vorlauten Ratschläge geben, Privilegien aufgeben, anderen den Vortritt lassen.

Wer mal rüde unterbrochen wird, kann eventuell besser nachvollziehen, wie es Menschen ergeht, denen der Zugang zur breiteren Öffentlichkeit verwehrt bleibt oder deren Äußerungen dort geringgeschätzt werden.

Die Klagen alter, weißer, privilegierter Männer (und es werden mehr), dass man ihnen das Wort abschneidet, sie nicht respektiert, ihre Äußerungen heruntermacht, ihre Auftritte stört und verhindert, beruhen oft auf reinem Hörensagen. Doch immer häufiger auch auf realen Beschränkungen der Meinungsfreiheit, die bekanntlich weder auf Altersgruppen noch auf ethnischer Zugehörigkeit noch auf sexueller Orientierung beruhen, sondern nur als universales Recht für alle funktionieren kann.

Von einer Zensur, einer Schweigespirale, einem Maulkorb für alte weiße Männer mit Macht und Einfluss kann in diesem und kaum einem anderen Land bislang die Rede sein. Haltungen und Einstellungen zu überdenken, die man für selbstverständlich erachtet hat, ist kein bedauernswertes Alters-Schicksal, sondern eher eine Chance und wieder ein kleines Privileg.

Widerstand sollte sich nicht selbst entkräften

Zweitens: So weit, so gut. Doch lehrt die Erfahrung sozialer Bewegungen, die ins Sektenwesen abgerutscht sind, dass Opposition in sich plural sein muss und eine Atmosphäre des Respekts rundum notwendig ist. Wir wissen, wovon wir reden: Die 1968er-Bewegung ist in irrwitzige Sekten zerfallen, falsche Radikalität führte zum Scheitern. Besser ist man vereint, statt dem Narzissmus der aller kleinsten Differenz zu frönen.

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Oder man marschiert allein, aber nicht unter der Bedingung, dass sich alle anderen unterordnen. Widerstand nimmt wirkliche, mächtige Gegner ins Visier und darf sich nicht selbst auf der Suche nach Abweichlern und Verrätern in den eigenen Reihen entkräften.

Besonders fatal ist die Ansage, man dürfe nicht mehr gegen eine Diskriminierung aufstehen, wenn man sie nicht am eigenen Leib erfahren hat. Man dürfe am Ende nicht einmal die Poesie einer Schwarzen (Amanda Gorman) von einer Weißen (Marieke Lucas Rijneveld) übersetzen lassen, selbst wenn die Autorin mit dem Ergebnis völlig zufrieden ist. Kultur lebt von der Übersetzung, der Grenzüberschreitung, der Aneignung durch Bastarde, die sich gegen Reinheitsgebote aller Art aufgelehnt haben.

Wer ist legitimiert, Diskriminierung zu bekämpfen?

Die moralische Größe und der politische Erfolg von Bewegungen gegen jede Form von Diskriminierung beruhten stets darauf, dass sich nicht allein „Betroffene“ zur Wehr setzten, sondern dass sich auch andere betroffen fühlten. Und darauf, dass diese auch eine von anderen erfahrene Diskriminierung so in Zweifel zogen und bekämpften, als wäre sie ihnen selbst widerfahren. Das war der Fall in der Bürgerrechtsbewegung der Afro-Amerikaner, ebenso bei der feministischen Bewegung, in den Kämpfen der Arbeiterbewegung und der MigrantInnen.

Deren Erfolg beschränkte sich nie auf das (durchaus notwendige) self-empowerment, sondern war angewiesen auf breitere Unterstützung. Diese Kämpfe waren nie allein auf die Bestätigung partikularer Identitäten aus und erst recht nicht auf die Korrektur von Sprechweisen fixiert, sondern Teil eines größeren und nicht endenden Freiheitskampfes der Menschheit.

Minderheiten sollten sich wechselseitig unterstützen

Drittens: People of Colour und Transmenschen müssen sich heute fragen, ob sie die Unterstützung anderer, die nicht direkt betroffen sind, tatsächlich zurückweisen wollen. Ihre, unsere schärfsten Gegner werden sich freuen und die innere Kluft so lange vertiefen, bis eine ihnen gefährliche Opposition abstürzt.

Dass im vergangenen Januar bei der Stichwahl im US-Staat Georgia ein jüdischer und ein afro-amerikanischer Kandidat in den Senat einzogen (was keine Kleinigkeit ist!), lag an der wechselseitigen Unterstützung beider Minderheiten, die auf die Geschichte der USA-Bürgerrechtsbewegung zurückverweist. Sam Cookes Slogan „A Change is Gonna Come“ beinhaltete, dass privilegierte Weiße, darunter viele Juden, den Kampf der Schwarzen im Süden aktiv unterstützten.

Linke Identitätspolitik kann sich auf '68 berufen, aber nur auf das „andere '68“ der Neuen Rechten, die damals den „Ethno-Pluralismus“ und den Kult der Reinheit erfanden. Richard Nixon erkannte die Gelegenheit und politisierte die heute absurden Rassen-Kategorien im US Zensus (White, Black, Hispanic American, Indian/Alaska Native, Asian/Pacific Islander sowie „other“), um die demokratische „Regenbogenkoalition“ zu spalten – bis heute mit Erfolg.

Trumps Republikaner, wie auch die jüngsten, von der rechten SVP initiierten Volksentscheide in der Schweiz sind ein Mimikry der rassistischen und sexistischen weißen Mehrheit, die sich selbst zu einer verfolgten Minderheit stilisiert. Wer in seinem Willen zur Veränderung nicht auf Pluralität und Toleranz setzt, hat schon verloren.

Claus Leggewie und Daniel Cohn-Bendit starten mit ihrem taz talk am Montag, den 19. April den Countdown zum taz lab.