Gastronomie in der Krise : Die Zukunft ist vegetarisch
Offiziell machen Gaststätten gerade wegen der Mehrwertsteuererhöhung dicht. Doch viele dürften der Käsespätzle-Krankheit erlegen sein. Unser Autor, hauptberuflich selber Gastwirt, erklärt, was darunter zu verstehen ist und warum dem vegetarischen Gasthaus die Zukunft gehören könnte.
taz FUTURZWEI | Ich nenne es das Käsespätzle-Paradigma. Ein Muster, das noch die Mehrzahl der Speisekarten dieser Republik bestimmt, vor allem Wirtschaften im unteren und mittleren Preissegment. Es ist zwar durchaus lobenswert, dass man inzwischen fast überall ein vegetarisches Angebot findet. Aber reicht es, wenn es dann nur mit Käse überbackene Spätzle sind beziehungsweise zerlaufener Käse mit einem kleinen Anteil schwäbischer Pasta?
Viele Wirte beschränken sich darauf, landauf, landab, und am meisten fällt mir das dort auf, wo Käsespätzle ungefähr so in die kulinarische Landschaft passen wie gebackene Bananen. Etwa in Schwerte oder auf Rügen. Sie sind ein vegetarisches Feigenblatt, und die Klage darüber bekomme ich inzwischen nicht nur von Vegetariern, sondern auch von Flexitariern zu hören, die bei uns im Gasthaus absteigen.
Die ständige Aussicht, sich mit einer schweren Käsekugel im Bauch vom Tisch erheben zu müssen, wirkt für sie wie ein Zwang, ein Fleischgericht zu bestellen. Da gibt es erfahrungsgemäß eine Auswahl. Der große Salatteller, falls die Lokale so etwas in petto haben, ist auch keine so prickelnde Alternative.
Spiegel des kulinarischen Mainstreams
Jahrzehntelang wurde dem Gasthaus nachgesagt, es sei der eigentliche Spiegel des kulinarischen Mainstreams. Ein Ort für Alt wie Jung, Arm und Reich, die Heimstatt der Stammtische, die Schwemme für das deutsche Leibgetränk, das Bier, und eben auch die Küche für Gerichte ganz nach Jedermannsgeschmack. Doch leider: Aus irgendeinem Grund funktioniert dieser Zusammenhang nicht mehr.
Denn egal, wie viel Nachwuchspopulisten sich in dem Spruch »Wir lassen uns das Schnitzel nicht verbieten« üben – der Fleischkonsum geht trotzdem zurück. Und ich wage zu behaupten, unter den Gaststätten, die angeblich gerade alle wegen der Mehrwertsteuererhöhung auf 19 Prozent dicht machen, sind viele, deren Karte an der Käsespätzle-Krankheit litt.
Aus meiner Sicht hat das Gasthaus das Zeug, eine ganz jetzige, vorwärtsgewandte Küche zu bieten, vor allem der Landgasthof. Ich sehe das gerade an der Geschichte meines eigenen Betriebs. Es braucht nur einen kleinen Rundgang, um zu verstehen, Regionalität und Saisonalität sind nicht einfach nur Trends, sondern Prinzipien mit Tradition. Bei uns auf dem Areal finden sich alte Fischbassins, ein ehemaliges Schlachthaus, Pferde- und Schweineställe, der Gemüsegarten lag in den vergangenen Jahrzehnten nie brach, und Hühner gibt es bis heute.
taz FUTURZWEI – das Magazin, Ausgabe N°30: Wer ist das Volk? – Und warum ist Rechtspopulismus so populär?
Warum der Rechtspopulismus global und in Ostdeutschland so erfolgreich ist, können wir analysieren. Wie man ihn bremsen kann, ist unklar.
Diesmal im Heft: Jens Balzer, Ines Geipel, Jagoda Marini , Maja Göpel, Aladin El-Mafaalani, Thomas Krüger, Yevgenia Belorusets, Danyal Bayaz und Harald Welzer. Veröffentlichungsdatum: 10. September 2024.
Vegetarischen Traditionen wiederentdecken
Zeitweise ist das meiste, was auf den Tisch kam, im und um das Gasthaus gewachsen, geerntet oder geschlachtet worden. Das ist keine 50 Jahre her, und der Plan ist, so gut es geht, dahin zurückzukommen. Was ich nicht anbauen kann, besorge ich in der engsten Umgebung. In kleinen örtlichen Zusammenhängen Beziehungen mit Lebensmittelproduzenten aufzubauen, hat viele Vorteile.
Ich kann die Qualität besser kontrollieren, die Kosten für Transport und Zwischenhändler sind fast bei null, die Lieferketten sind so stabil und resilient, wie es nur geht. Deshalb sind Regionalität und Saisonalität auch mehr als einfach nur kulinarische Trends.
Was mich unweigerlich zu der Überlegung bringt, dass das Gasthaus vegetarischer werden wird, ja, dass ich nicht ausschließen will, dass es sogar rein vegetarische Gasthäuser geben wird. Dafür muss man nur eines machen: die vegetarischen Traditionen der hiesigen Küche wiederentdecken.
Alles da für eine vegetarische Wirtshausküche
Mir hat da ein Buch die Augen geöffnet. Es ist schon vor einigen Jahren herausgekommen, inzwischen mit über 100.000 verkauften Exemplaren. Es versammelt klassische Rezepte der deutschen Regionalküchen – von Spargel mit »Kratzete« (ein salziger Kaiserschmarrn aus Baden) über Schnüsch, ein zarter Gemüseeintopf in rahmiger Milch, der aus Norddeutschland stammt, bis zu Eiern in Senfsauce; insgesamt sind es über 150 Rezepte. »Deutschland vegetarisch« (Stevan Paul, Katharina Seiser, Verlag Brandstätter, Wien) ist inzwischen ein Klassiker der vegetarischen Bibliothek.
Wer sich darüber hinaus mit Heimatküche beschäftigt, legt immer mehr Gewicht auf Gemüse. Wie zuletzt Christian Rach. »Deutsche Küche« (Verlag Südwest/Penguin-Randomhouse, München) heißt das jüngste Buch des TV-Kochs. Fleisch und Wurst, die deutschesten aller Zutaten, behandelt er darin erst ab Seite 200. Vorher hat er mit Lust so traditionelle Gerichte wie »Himmel & Erde« oder »Linsen mit Saitenwürstle« nur mit Gemüse interpretiert, und zwar so, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Theoretisch also ist alles da für eine vegetarische Wirtshausküche.
Und praktisch: Bei uns im Gasthaus sind inzwischen drei von vier Gerichten vegetarisch, regelmäßig liegt auf dem Teller Fisch statt Fleisch, in Unterfranken findet man Karpfen, Saibling oder Waller in Spitzenqualität. Den Gästen schmeckt es, sie honorieren sogar, dass sie nicht an erster Stelle stehen.
Vegan hat keine Tradition
Denn ich habe gelernt: Wenn man sich nicht nur oberflächlich mit der Frage beschäftigt, wie man eine Küche mit den besten Zutaten aus der unmittelbaren Umgebung aufbaut, und diese Küche auch noch nachhaltig gestaltet, also versucht, Müll zu vermeiden und energiesparend zu kochen, dann verlieren die Kategorien »vegan«, »vegetarisch« oder »Fleisch« an Relevanz. Die Vorlieben der Gäste treten in den Hintergrund. Das Denken des Kochs wird vom Angebot an Lebensmitteln dominiert und der Frage, wie man sie energieeffizient verarbeitet. Beispielsweise beschäftigt mich gerade die Frage, wie ich die Restwärme des Ofens noch für das Kochen einsetzen kann.
Was auch auf den Prüfstand gekommen ist, sind die veganen Alternativen in unserem Menü. Gerade dafür gibt es keine Tradition. Eier und Milchprodukte aus der engsten Umgebung sind eine feste Säule unseres Lokals und von großartiger Qualität. Und die Nachfrage nach einer rein veganen Küche ist verschwindend gering, etwa so gering wie der Wunsch nach glutenfreiem Brot zum Frühstück.
Ich bekomme in der Umgebung nicht die Produkte, die ich für eine vegane Küche für meinen eigenen Geschmack als das Minimum ansehe, also bedeutete im vergangenen Jahr jede vegane Anfrage eine Fahrt zum Supermarkt und ein paar Tage später den Gang zur Mülltonne – mit den unterschiedlichsten und noch fast vollen Tetra Paks oder Margarinedosen. Nachhaltig ist was anderes.
Jörn Kabisch, ehemaliger (Genuss-)Redakteur der taz, hat vor einigen Jahren des Redakteursjob an den Nagel gehangen und ein Gasthaus im Süddeutschen übernommen. Für unser Magazin taz FUTURZWEI schreibt er dennoch regelmäßig und über die kulinarischen Fragen der Zeit.