■ Gastkommentar: Große Enttäuschung
Viele SPD-Bundesparteitags-Delegierte haben im November einem Konsens-Papier zur Zuwanderung zugestimmt, obwohl sie eigentlich gegen eine Änderung des Art. 16 GG waren. Dafür gab es – neben dem der Parteisolidarität – gute Gründe: Der Asylanteil erschien gerade noch vertretbar, eine Beschleunigung der Asylverfahren dringend geboten, und außerdem steckten in dem „Paket“ viele schon lange geforderte Zielvorgaben, wie etwa die generelle Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft. Nun müssen sich die Delegierten getäuscht fühlen. Denn der Unterschied zwischen Anspruch und Neuformulierung des Artikels 16 ist schon atemberaubend: Nicht der Individualanspruch auf das Asylrecht soll aus der Verfassung verbannt werden, dafür aber die Flüchtlinge aus Deutschland, für die er gedacht war. Gratulation! Mit dem „Kompromiß“ soll die Bundesrepublik Deutschland soweit wie möglich nicht mehr selbst das Asylrecht gewähren, sondern sie will andere gewähren lassen – die Polen etwa. Daß künftig die Zahl der Illegalen steigen und die Geschäfte der Schlepper blühen werden – was man ja gerade verhindern wollte –, liegt auf der Hand. Und was ist von den vielen guten Forderungen aus dem SPD-„Paket“ realisiert worden? Die Bürgerkriegsflüchtlinge sollen aus dem Asylverfahren herausgenommen werden. Das ist gut, sehr gut– aber bereits zwingend auf dem Wege. Und sonst? Maßnahmen zur Fluchtursachenbekämpfung? Fehlanzeige. Einwanderungsregelungen? Fehlanzeige. Einbürgerungserleichterungen oder doppelte Staatsbürgerschaft? Fehlanzeige. Für die SPD ist die Lage prekär. Stimmt sie zu, verliert sie viel an Glaubwürdigkeit – stimmt sie nicht zu, wird ihre Situation auch äußerst kritisch. Von welchem bösen Geist hat sie sich bloß in diese unsägliche Änderungsdiskussion zwingen lassen? Eckhardt Barthel
Der Autor ist Mitglied des Abgeordnetenhauses für die SPD und Vorsitzender des Fachausschusses Ausländerpolitik.
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