■ Gastkommentar: Ein Erfolg ohne staatliche Hilfe
Der Rückgang der Drogentoten in Berlin um ein Drittel ist überwiegend auf zwei Umstände zurückzuführen: die Substitution und die niedrigschwelligen medizinischen Versorgungsangebote der zum Teil in Selbsthilfe geführten Einrichtungen Olga, Strass und Arztmobil von Fixpunkt. Der Einbruch der HIV-Infektion in der Gruppe der Drogenabhängigen 1982 führte dazu, daß seit etwa drei Jahren eine große Anzahl der Betroffenen das Stadium Aids erreicht hat und die Erkrankten bereits bei normalen Dosierungen an Multiorganversagen starben.
Der Initiative von Drogenberatern und Ärzten gegen den erklärten politischen Widerstand der beiden großen Volksparteien ist es zu verdanken, daß Hunderte dieser Todeskandidaten von der Straße weg in Behandlung kamen, statt überall die Todesstatistiken anwachsen zu lassen. Überall, wo viel substituiert wird, gehen die Sterbeziffern drastisch zurück. Wo wie in Süddeutschland die Substitution behindert wird, bleibt die Zahl der Drogentoten nahezu unverändert – und zwar ganz unabhängig von der angebotenen Heroinkonzentration.
Doch dieser einzig neue drogenpolitische Weg hat auch in Berlin nahezu keine staatliche Unterstützung erhalten. In der Hauptstadt werden in diesem Jahr für die therapeutische Infrastruktur der 692 stationär Behandelten, die dann auch abstinent leben müssen, 7,7 Millionen Mark aufgewendet. Für die Betreuung von 741 Substituierten mit Hilfe einer Clearingstelle und ein paar zusätzliche Drogenberatungsstellen hat der Senat nicht einmal eine halbe Million Mark übrig. Es fehlt jede Infrastruktur zur Rehabilitation, wie zum Beispiel betreutes Arbeiten, Wohnen und weitere Stellen zur psychosozialen Betreuung. In der Verteilung der Ausgaben bricht sich das Abstinenzdogma unübersehbar Bahn: Wer Methadon bekommt, braucht nicht mehr rehabilitiert zu werden.
Insofern ist die gestrige Bilanz von Jugendsenator Thomas Krüger eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Die Abstinenztherapie, bei der die Betroffenen ungleich besser betreut werden als Substituierte, bietet dann tatsächlich mehr Möglichkeiten zur Rückkehr in ein normales Leben. Dr. Jörg Gölz
Der Autor ist Vorsitzender der Methadon-Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung und leitet eine Arztpraxis mit dem Schwerpunkt HIV und Aids
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