■ Gastkommentar: Disqualifiziert!
Bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen kann die ausrichtende Stadt den Gästen und der Welt zeigen, wie herzlich sie Akteure und Zuschauer aufnimmt. Unvergeßlich das Publikum von Barcelona, das neugierig alle Stadien parallel stattfindender Disziplinen füllte, begeistert mitging. Sieger jeglicher Nationalität bei der Ehrenrunde so bejubelte, daß sich selbst Kritiker des Leistungssports Behinderter von dieser herzlichen Atmosphäre anstecken ließen. Wer vor und nach den Paralympischen Spielen sich in jener Stadt als Behinderter bewegte, spürte den Unterschied: die Spiele hatten bei den Bürgern Barcelonas eine Differenzierung eingeleitet, dem Image der Behinderten eine neue Facette hinzugefügt.
Die übermorgen beginnende WM 94 in Berlin war als Generalprobe für die Paralympics gedacht, und diese sollte den Berlinern die behindertengerechte Hauptstadt bescheren. Natürlich wird deshalb nichts aus so einer Hauptstadt, weil die Bewerbung zusammen mit Olympia 2000 abgestürzt ist. Aber muß die Leichtathletik-WM der Behinderten dieser Welt so stattfinden, als habe es nie eine Bewerbung gegeben? Für zehn Tage wird das Olympiastadion eine behindertengerechte Insel mitten in Berlin sein; temporär wird es 300 zuschauende RollstuhlfahrInnen geben, werden die Umkleidekabinen und Zugänge zum Innenraum provisorisch zugänglich sein, aber nicht bleiben. Von dieser Investition wird nichts übrigbleiben, keine neuen Trainingsmöglichkeiten. Aber darf die WM eigentlich so abgehandelt werden? Was bleibt den Athleten von der Begegnungsmöglichkeit untereinander? Wie erreichen sie die Insel des Glücks: durch Landungsboote, Zitat Presse-Info: „Die olivgrünen Busse der Bundeswehr werden den täglichen Shuttle sichern.“ Das OK hat aus einer weiteren Not eine Tugend gemacht: weil „eine einheitliche (zentrale) Unterbringung für ca. 1.800 Anreisende“ nicht möglich war, soll der Austragungsort den Raum für Begegnungen bieten. Wieviel den Athleten davon bleibt, können Insider sich vorstellen: sie müssen zu verstreuten Quartieren, können aber nur mit dem olivgrünen Sammeltransport fahren.
Überhaupt scheinen das die olivgrün getarnten Spiele zu sein. Wer in der Ferienzeit erst beginnt zu plakatieren und meint, die Berliner würden ihren Urlaub wegen dieser WM sowieso nicht verlegen, der hat die Begeisterungsfähigkeit schon verspielt. Eine im Prinzip gute Sache wird von einem schlechten Verlierer noch übler zugerichtet, als es in Berlin vor einer Olympia-Bewerbung möglich gewesen wäre. Den Sportlern ist ein Besucherandrang zu wünschen, auch wenn er von jener Seite gefürchtet wird, die die nun ungeliebte WM 94 nur notgedrungen abwickelt. Berlin hat sich disqualifiziert, bei uns Behinderten jedenfalls. Michael Eggert
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