Gastkommentar: Bremens SPD taumelt
■ Nur die Basis kann noch die Rettung bringen – Rote Liste gibt es nicht
Bremen ist nicht Berlin, das Trostwort, GenossInnen, hilft nicht mehr. Bremen war Berlin, als es in zwei Wahlschritten von der absoluten SPD-Mehrheit an die 30 Prozent-Grenze abstieg. Seitdem taumelt Bremens einst so stolze SPD dahin. Angeschlagene Boxer klammern. Das Klammern angeschlagener Regierungsparteien ist die Große Koalition.
Nein, für Bremens Sozialdemokraten ist kein rettendes Ufer in Sicht. Die nächste Wahl kommt bestimmt, und größte Hoffnung kann dann nur noch sein, Juniorpartner der CDU zu werden. Da kommt Verzweiflung auf. Woher soll also Hilfe kommen? Wer meint, daß unsere Leute in Senat und Fraktion es schon richten werden, soll alle Hoffnungen fahren lassen. Das personale Aufgebot der SPD ist schwach. Wirkliche Erneuerung, die neuen Drive in die politische Arena tragen könnten, haben nicht stattgefunden. Dabeisein ist schon alles. Wo die politische Devise nichts als ein bloßes Sparbekenntnis sein kann, ist schlecht Profil zu zeigen. Wenn Politik auf strikten Ausgabenverzicht hinaus läuft, verwischen sich die Farben. Das Grau der öffentlichen Armut läßt Schwarz oder Rot unsichtbar werden. Die nächste Nähe zu dem grauen Einerlei hat dann noch Schwarz. Selbst bürgermeisterliche Kapriolen helfen über die Regierungslähme nicht mehr hinweg. Im übrigen sagt er selbst, das bremisches Regierungshandeln inzwischen heroischer Nihilismus sei: Man tut was, aber es ist sinnlos.
So merkwürdig es für bremische Ohren klingen mag, die Basis kann der SPD allein noch Rettung bringen. In Bremen hat das Parteiestablishment schon lange vergessen, daß es sie gibt. Wenn auch, gemessen an den besten Zeiten, inzwischen der Mitgliederschwund 50 Prozent beträgt, so sind es nicht die Luschen, die aushalten. Die Köpfe allerdings sind voller Frust. Mitgliederversammlungen sind meist nichts als Vorstandstreffen. Kunkelkreise beherrschen das Revier, obwohl es längst keine Flügel mehr gibt, die sich ideologische Kämpfe liefern. Personelle Seilschaften fädeln in Zirkeltreffen ein, wer wo was werden soll. Der Albersclan steht gegen Grotheers Truppe. Gefolgschaftstreffen ohne inhaltliches Denken. Die Ortsvereine bleiben außen vor, wenn nur die Delegierten wissen, wo das Kreuz steht.
Dabei könnte eine Partei, die in den beiden Städten immer noch viele hundert Mitglieder hat, in den einzelnen Wohnquartieren mit sozialer Kompetenz Hilfe für Betroffene organisieren. Wo staatliches Handeln sich zurückzieht, braucht die Gesellschaft freies Bürgerhandeln. Die PDS macht's im Osten vor. Beratung und aktive Hilfe für alle, die auf Ämter angewiesen sind. Wo Bibliotheken und schulische Angebote verschwinden, wo Alte sich selbst überlassen sind, braucht es das ehrenamtliche Engagement Einzelner. Hier tut ein weites Feld für neue soziale Handlungsstrategien auf. Mitgliederversammlungen bekämen stadtteilbezogene Inhalte.
Mit der Debatte über die Organisationsstruktur gewinnt ihr keine Wählerstimme. Mit diesem Technokratenkram kommt schnell zu Ende. Macht Schluß mit aller Zirkeldemokratie. Schickt alle Kunkler in die Wüste. Entwickelt soziale Kompetenz vor Ort und kämpft mit der notfalls auch gegen die Verwaltung. Der Ortsverein muß Sachwalter örtlicher Betroffenheiten sein. Es muß ein neues Parteiethos geben, das nur die Basis entwickeln kann, weil es im Unterschied zu früher nicht mehr verquickt mit dem Verwaltungshandeln sein darf. Nur so gewinnt ihr wieder junge Leute. Es gibt für Euch, liebe Genossinnen und Genossen, keine rote Liste, die aussterbende Arten schützt. Entweder ihr ändert alles radikal, oder es gibt euch bald nicht mehr. Horst-Werner Franke, Senator a.D.
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