■ Ganz gleich bei welchem Wetter - auf dem Tanker SPD wird Johannes Rau der Kapitän sein: In Düsseldorf stehen die Zeichen auf Rot-Grün. Auch in Berlin ist in diesem Jahr durch einen Stimmungsumschwung...: Tragfähige Erklärung für Rot-Grün
Ganz gleich bei welchem Wetter – auf dem Tanker SPD wird Johannes Rau der Kapitän sein: In Düsseldorf stehen die Zeichen auf Rot-Grün. Auch in Berlin ist in diesem Jahr durch einen Stimmungsumschwung im Ostteil der Wechsel möglich.
Tragfähige Erklärung für Rot-Grün
Mehrere Dutzend Journalisten in den Gängen des Wuppertaler „Golfhotels“ trauten gestern kurz vor 12 Uhr ihren Ohren nicht. Johannes Rau gab sich ganz einsilbig. Nein, mit einer Erklärung sei nicht zu rechnen. Und dann weiter: „Ich hatte auch nie die Absicht, heute eine Erklärung abzugeben.“ Nun, geblieben sind sie alle, und die Erklärung kam dann auch – im typischen Rau-Stil. Er selbst läßt sich immer noch ein winziges Hintertürchen offen, auch wenn die Richtung nach dem Vorstandstreffen klar ist: Die NRW-SPD will nach dem Verlust der absoluten Mehrheit Rot-Grün, und wenn das Ergebnis stimmt, wird Rau die neue Regierung anführen.
Rau selbst vermied es zwar erneut, seine Ambitionen explizit anzusprechen, aber alles weist genau in diese Richtung. Als SPD-Verhandlungsführer will Rau die Gespräche mit den Bündnisgrünen „mit dem Ziel führen, daß es zu einer stabilen Koalitionsregierung von SPD und Bündnis 90/Grüne kommt“. Wenn beide Parteien sich auf ein „tragfähiges Regierungsprogramm verständigen, werde ich dieses Ergebnis einem SPD-Parteitag zur Annahme empfehlen. Sollte das nicht möglich sein, werde ich andere Vorschläge machen.“ Rau als der Kapitän auf dem Tanker SPD, ganz gleich bei welchem Wetter, so will es die Parteiführung, und so will es Rau.
Ungeklärt blieb gestern weiter, wer den wichtigen Fraktionsvorsitz einnimmt. Darüber ist die Partei tief gespalten. Klar ist, daß Umweltminister Klaus Matthiesen, bisher einer der schärfsten Rot- Grün-Gegner innerhalb der NRW-SPD, den Job unbedingt will. Doch der Widerstand gegen Matthiesen ist groß. Aller Voraussicht nach wird Verkehrsminister Franz-Josef Kniola gegen ihn antreten. Beide kommen aus dem mächtigen Parteibezirk Westliches Westfalen, dessen Stimmen, das wurde bei Vorgesprächen am Samstag klar, keiner der Kandidaten allein sicher hat. Weil die Abgeordneten der anderen drei Bezirke erst am Montag zusammenkommen, bleibt es spannend. Nach seiner Einschätzung, so orakelte SPD-Landesgeschäftsführer Ernst Martin Walsken, deuteten die Signale insgesamt „aber eher auf Kniola als auf Matthiesen hin“. Rau selbst entzog sich allen Fragen zu dieser wichtigen personellen Weichenstellung so: „Mit dieser Frage habe ich mich nicht befaßt.“
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In Berlin bewies die Basis der Bündnisgrünen am Wochenende, daß sie die Lust an überraschenden Coups noch nicht gänzlich verloren hat. Völlig unerwartet wählte die Mitgliedervollversammlung am Samstag die Frauenpolitikerin Sybill Klotz auf den Spitzenplatz der Landesliste. Eine Sensation, denn die 34jährige Abgeordnete ist kein Parteimitglied, sondern gehört dem Unabhängigen Frauenverband an.
Das Votum der Basis verschafft der Partei im Vorfeld der Wahl am 22. Oktober zweifellos Pluspunkte im Ostteil Berlins: Bis zu ihrem Austritt im Oktober 1989 gehörte Sybill Klotz sechs Jahre lang der SED an.
Derzeit zeichnet sich auch im Osten der Stadt ein Stimmungsumschwung ab, nach einer jüngst veröffentlichten Umfrage könnte eine rot-grüne Mehrheit auch ohne PDS zustande kommen. Die Gysi- Bisky-Partei käme danach um minus drei auf 11 Prozent. Während die SPD bei 36 Prozent und die CDU bei 34 Prozent stagnieren, legten die Bündnisgrünen um ein auf nunmehr 14 Prozent zu.
Der Niedergang der SED- Nachfolge-Organisation wäre ganz im Sinne der Bündnisgrünen. Monatelang stritt man sich im Berliner Landesverband um die Frage einer PDS-Tolerierung. Um dann, für grüne Verhältnisse fast schon gespenstisch ruhig, am Wochenende einen Kompromißvorschlag zu verabschieden, in dem das heikle Thema einfach ausgeklammert wurde. Ein Wechsel der bisherigen SPD/CDU-Koalition rückt in die Nähe des Möglichen. Vorausgesetzt, die Prognosen stimmen und die SPD will überhaupt. Bislang läßt deren Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer eine klare Aussage für Rot-Grün vermissen. Sorgen müßte sich allerdings die Berliner CDU machen. Mit dem wahrscheinlichen Ausscheiden der FDP – nach der jüngsten Umfrage liegt sie in Berlin bei drei Prozent – käme für die Christdemokraten, die Eberhard Diepgen am Samstag mit 91 Prozent zum Spitzenkandidaten kürten, nur eine Fortsetzung der Großen Koalition in Frage. So könnte im Oktober in Berlin jene Situation eintreten, die der Union bundesweit bevorsteht: rechts ein leerer Platz, links nur die Alternative SPD.
Die Hauptstadt-Liberalen ihrerseits versuchten am vergangenen Wochenende, die innerparteilichen Brüche zwischen nationalkonservativen und linken Kräften schönzureden. Von „Desorientierung“ sprach der Landesvorsitzende Günter Rexrodt gestern auf der Landeswahlversammlung. Dem Bundeswirtschaftsminister fiel für den Berliner Wahlkampf ohnehin nur das Bonner Rezept ein: eine Koalition mit der CDU. Walter Jakobs, Düsseldorf
Severin Weiland, Berlin
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