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Archiv-Artikel

GRAZIA: EXOTIK FÜR LESERINNEN ZWISCHEN BERLIN UND BUTZBACH Ein warmer Applaus

Trends und Demut

VON JULIA GROSSE

Während der Fußball-WM war ich in London zu einem Abendessen eingeladen. Eine berühmte britische Kulturtheoretikern nahm mich besorgt beiseite. Was denn da schon wieder in Deutschland los sei, ob ich das gesehen hätte? Eine mehrseitige Modestrecke in der deutschen Grazia, ein stereotypes Festival, weiße makellose Models neben wilden, rätselhaft schönen Stammesmitgliedern. Exotik pur für die moderne Leserin zwischen Berlin und Butzbach. Die Professorin kannte die Grazia aus England, ein beliebtes Promi-Modeblatt, das seit einigen Monaten auch als deutsche Version am Kiosk liegt. Ich besorgte mir die Ausgabe, und tatsächlich fallen schon beim Titel alle geografischen Hüllen: Afrika. Ist ja auch nur ein Kontinent mit 53 Ländern, da muss man nicht weiter ins Detail gehen. Kennst du Togo, kennst du Tansania: „Zur WM blicken alle auf den Schwarzen Kontinent. Wir haben uns dort modisch inspirieren lassen. Bitte ein warmer Applaus für die Farben und Impressionen der Savanne.“

In Südafrika ist WM? Da macht eine Modestrecke in Kenia doch richtig Sinn und ist ungefähr so zusammenhangslos herbeikreiert, als wäre die WM in Spanien und man produziert eine Modestrecke in Finnland: Applaus für die Farben und Impressionen Europas! Auf den Fotos zu sehen sind junge weiße Models, die, passend zur Umgebung, als „Einheimische“ verkleidet sind: Sie suchen Fährten in Alexander-McQueen-Roben, holen Wasser in Azzedine Alaïa und tippeln mit gezücktem Speer durchs Gras. Doch wen jagen sie? Ihren Agenten, weil der ihnen einen so unfassbar doofen Job verpasst hat? Ein Model joggt in einer üppigen Miu-Miu-Kreation durch die Steppe, neben ihr ein junger Mann. Auf seinem muskulösen schwarzen Oberkörper kontrastieren die kräftigen Farben seines traditionellen Perlenschmucks, ein Posterboy des exotisierenden Blicks auf den edlen, bedrohlichen Wilden. Er als „echter“ Einheimischer wirkt neben diesem Zirkus wie ein Authentizitätsbeweis. Was mich allerdings erschreckt, ist sein perfekt sitzendes Kaugummilachen. Denn dieses strahlende Lächeln jenseits des absurden Modeshootings wird er wohl zwanzigmal am Tag in die Touristenkameras halten müssen.

Vor ein paar Tagen hielt ich eine britische Grazia in der Hand. Hier verhandelt man die Darstellung von kultureller Identität ein wenig anders, und neben der Neandertalersensibilität der deutschen Ausgabe wirkt der britische Ansatz fast politisch-diplomatisch: Eine der Strecken im Heft zeigt einen internationalen Lingerie-Wettbewerb, in dem jedes Land durch ein anderes Model repräsentiert wird. Länder wie Irland, Japan oder Israel verkörpern fast stoisch selbstverständlich schwarze Models. In Deutschland wäre so etwas undenkbar. Wieso soll ein „farbiges“ Model Irland repräsentieren oder Japan? Das ist doch absurd! Das tatsächlich Absurde? Dass man in Deutschland immer noch irritiert ist, wenn ein scheinbar afrikanisch aussehender Mensch gar kein Afrikaner ist. Oder jemand mit asiatischen Zügen gar kein Asiat. Sondern Deutscher! All die sorgsam angelegten, stereotypen Vorstellungen sind plötzlich wertlos! Perfekt. JULIA GROSSE

■ Julia Grosse ist Kulturreporterin der taz in London