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Archiv-Artikel

GLÄUBIGE UND STAATSBÜRGER Doppelte Identität als Bürgerpflicht

Knapp über dem Boulevard

ISOLDE CHARIM

Es war nur ein Nebenaspekt in dem Text von Birgit Rommelspacher zum „kolonialen Feminismus“ (taz vom 18. Januar): die Kritik an der Neutralität der Öffentlichkeit. Hier nun ein kleines Pamphlet zu deren Verteidigung.

Die Autorin setzt diese Neutralität unter Anführungszeichen, denn für sie ist diese nur ein Mittel, um die Vorherrschaft des Christentums zu garantieren und damit andere Religionen in die „Verborgenheit des Privaten“ zurückzudrängen – etwa qua Minarettverbot. Ergo ein untaugliches Emanzipationsinstrument. Zunächst wäre zu sagen, dass dieser Behauptung ein Irrtum zugrunde liegt: Privat ist nicht gleichbedeutend mit unsichtbar. Auch Moscheen mit gut sichtbaren Minaretten sind deshalb noch lange keine öffentlichen Räume. Das unselige Schweizer Minarettverbot hat nichts mit einer Unterscheidung zwischen öffentlich und privat zu tun.

Und wenn auch die Neutralität der Öffentlichkeit nicht gänzlich vollzogen ist, wenn es tatsächlich öffentliche Orte gibt, an denen das Christentum nach wie vor seine Zeichen setzt, so ist darum noch lange nicht das Konzept als solches zu verwerfen. Ganz im Gegenteil. Umso mehr sollte man es forcieren und bekräftigen: Denn es ist genau das, was wir heute mehr denn je brauchen. Es muss der Fluchtpunkt unserer Bemühungen bleiben. Denn angesichts der steigenden Diversifizierung unserer Gesellschaften, angesichts der zunehmenden Schwierigkeit, diese Vielfalt zu integrieren, ist der Bereich einer neutralen Öffentlichkeit eine unumgängliche Notwendigkeit.

Ein Bereich, der neutral gegen alle partikularen Identitäten ist und an dem sich alle als Gleiche begegnen können – das ist genau jenes Konzept, das man konservativen Integrationsmodellen à la Leitkultur oder reaktionären Wiederbelebungen der Nation entgegenhalten kann.

Soll die Neutralität jene Gemeinsamkeit sein, die eine heterogene Gesellschaft zusammenhält, dann muss jede Religion – da hat Rommelspacher natürlich recht – ins Private verwiesen werden. Dies bedeutet nichts anderes als die Einhegung, die Begrenzung der Religionen, der Verzicht auf ihren Absolutheitsanspruch – nicht im Geistigen, nur im Politischen. Es bedeutet, die Tatsache der Pluralität der Religionen zu akzeptieren.

Wie sieht das nun für den Einzelnen aus? Für diesen heißt es, als Bürger religiös sein und als Citoyen nicht. Für diesen heißt es, er muss eine doppelte Identität gewinnen. Aber diese Verdoppelung unserer Identität besteht nur darin, unsere religiösen Überzeugungen (wie auch unsere ethnischen Bindungen) einzugrenzen. Verdoppelung heißt hier gegen jede mathematische Logik: etwas abzuziehen – den gesellschaftlichen Absolutheitsanspruch der eigenen Überzeugungen. Diese Verdoppelung entspricht also genau genommen einer Spaltung unserer Identität.

Die Neutralität eines allgemeinen Bereichs braucht kein Bekenntnis zum Säkularismus. Dieser ist kein eigener Inhalt, kein eigenes Dogma (wie im radikalen Republikanismus). Die Neutralität der Öffentlichkeit braucht nur eine Einschränkung der eigenen Identität. Sie ist nichts anderes als ein kleines Minus, das zu jeder religiösen oder ethnischen Bindung hinzukommt. Es braucht keine Säkularisierung, um heterogene Gesellschaften zu integrieren. Es braucht nur das Moment, dass wir als gläubige Christen, Juden, Moslems auch noch Staatsbürger sind. Und Staatsbürger sein bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes, als in die Innenperspektive auf die eigene Community-Identität die Außenperspektive auf eben diese – dass sie eben eine unter anderen ist – zu integrieren. Es ist, wenn man so will, eine partielle Säkularisierung, die eine Spaltung in alle vollen Zugehörigkeiten einführt. Und dazu braucht es eben den Bereich einer neutralen Öffentlichkeit. Denn diese bietet genau jene Zukunftsperspektive, die Demokratien brauchen: eine paradoxe „Gemeinschaft“ gespaltener Subjekte – das Gegenteil der gänzlich unparadoxen rechten Vorstellung einer Gemeinschaft der vollen Identitäten.

■ Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien