GEWALT & MUSIK : Umgehend analysiert
Nils Schuhmacher
Nach all der Gewalt im Umfeld der Demonstration am letzten Adventswochenende befindet sich Hamburg weiter in der Phase konzentrierter Aufarbeitung. Einen, nun ja, ungewöhnlich weit vorpreschenden Vorschlag zum Umgang mit Gewalttätern hat etwa flugs Karl-Heinz Warnholz unterbreitet: Der CDU-Mann möchte den Zugang zu Abitur und Hochschule erschweren. Aber auch die klassischen „Analysen“ sind umgehend eingetroffen: Kai Voet Van Vormizeele (CDU): „Psychopathen“; Björn Werminghaus (Deutsche Polizeigewerkschaft): „Abschaum“.
Auch das eine oder andere Konzert der kommenden Wochen lässt sich durchaus als Beitrag zur Debatte lesen: Die klassische Analyse aus der anderen Perspektive gibt es diesen Samstag etwa von Dritte Wahl in der Markthalle zu hören: Eine Punkband, die sich bereits zu DDR-Zeiten gegründet und vor allem durch polizeifeindliche Texte auf sich aufmerksam gemacht hat: „GSG9 und Terroristenjäger/Todesschützen und brutale Schläger“.
Ein wenig genauer hinhören muss man hingegen bei diesen beiden: Der Singer/Songwriter Bernd Begemann kommentiert die aktuelle Lage am Sonntag im Knust in gewohnt ironischer Brechung: „Oh St. Pauli“ bzw. „Man fühlt sich wie ein Gewinner, obwohl man nichts erreicht“. Am Freitag nächster Woche dann streicht der stets mit scharfer Zunge ausgestattete Liedermacher und Kabarettist Rainald Grebe im Thalia Theater einen zentralen motivationspsychologischen Aspekt heraus: „Ich brauche einfach [...] Chaos“.
Beim besten Willen nicht herauszuhören – aber als Beitrag zur Debatte durchaus erhellend – ist allerdings die Geschichte, die hinter diesem Konzert steckt: Zwischen der Musikabteilung der Hamburger Ordnungspolizei und dem sozialdemokratischen „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, das die Republik gegen ihre Feinde an den politischen Rändern schützen sollte, bestand in den 1920er-Jahren eine enge Kooperation, die ihresgleichen suchte. Grundlage war die Schirmherrschaft des Senats über das Reichsbanner, die es auch Polizeibeamten möglich machte, Mitglied zu werden. Die Nachfolgerin der „Orpo-Kapelle“, das Hamburger Polizeiorchester, spielt am Freitag nächster Woche auf dem Norderstedter Neujahrskonzert in der Tribühne auf.