GESUNDHEITSREFORM: NATURHEILKUNDE BLEIBT BEKENNTNISFRAGE : Rhetorische Verrenkungen
Da ist es wieder, das Problem mit den alternativen Heilmethoden: Voodoo oder nicht? Auch die diesjährige Gesundheitsreform kommt nicht an der Frage vorbei, ob – und wenn ja, welche – Naturheilmittel von den Kassen bezahlt werden sollen. Das heißt: Auch die Gesundheitspolitiker kommen nicht daran vorbei, sich zur Naturheilkunde zu bekennen – oder auch nicht.
Genau das bereitet ihnen höchste Pein. Denn einerseits gehen sie wie viele aufgeklärte Menschen davon aus, dass der Erfolg von Homöopathie und Co. im Wesentlichen auf gutem Glauben beruht. Dass alternative Heilmethoden wirken, ist dabei unbestritten – aber mit dieser Begründung sollte man dann auch die Fahrt zum Gottesdienst zahlen lassen. Der Heilerfolg allein kann nicht Kriterium für die Kassenerstattung sein, sonst verlangen sämtliche Handaufleger und Warzenbeschwörer ab morgen eine Leibrente von der AOK.
Andererseits wissen die Gesundheitsreformer, dass man sich mit einer derartigen Äußerung ungeheuer unbeliebt machen kann. Vielleicht schlucken sie ja auch selbst kleine weiße Kügelchen (schaden kann’s ja meist auch nicht). Auf jeden Fall finden drei Viertel der Wählerschaft Naturheilkunde prima. Außerdem legt man sich mit Naturheilkundlern nicht an. Gerade weil sie Überzeugungstäter, also Bekehrt-Bekehrende sind, entwickeln sie ein beträchtliches Stress- und Nervpotenzial.
Dieses Dilemma, säkulare Gesundheitspolitik betreiben zu müssen, aber dabei keine religiösen Gefühle verletzen zu wollen, führt bei den Gesundheitsreformern zu den merkwürdigsten rhetorischen Verrenkungen. „Die Schulmedizin hat sich der Konkurrenz durch die alternativen Heilverfahren zu stellen“, lautet eine gängige Formulierung – als handle es sich schlichtweg um eine Frage des Wettbewerbs. Doch wenn Ulla Schmidt und Biggi Bender wollen, dass alles bezahlt wird, was die Bevölkerung für wirksam hält, dann sollen sie es auch so sagen – und sich eben mit der Schulmedizin anlegen. ULRIKE WINKELMANN