■ GEHT MEXIKOS ÄLTESTER NATURSCHATZ AN DIE EINSTIGEN KOLONIALHERREN?: Ein Kaktus für den König
Ein Kaktus für den König
Mexico-City (taz) — Mexikanische Botaniker hatten den gigantischen Kaktus vor einiger Zeit in dem nordwestlichen Bundesstaat Baja California ausfindig gemacht und über lange Zeit hinweg studiert. Alt war er, stellten sie fest, sehr alt. Älter als die Entdeckung Amerikas, viel älter: mit rund 1.500 Jahren auf seinem stacheligen Buckel gilt er heute als das älteste Exemplar seiner Art in Mexiko, wenn nicht gar in ganz Lateinamerika.
Völlig überraschend jedoch und noch bevor die mexikanischen Umweltschützer in der Lage waren, effektive Gegenmaßnahmen zu organisieren, wurde der 17 Meter hohe und acht Tonnen schwere Riese vor wenigen Tagen in einer eigens zu diesem Behufe angefertigten, mit Schaumgummi aufgefüllten Metallstruktur per Flugzeug aus dem Land verschleppt. Endziel des faunischen Greises ist die EXPO 92, die diesjährige Weltausstellung im spanischen Sevilla. Der 19armige Säulenkaktus soll dort als Hauptattraktion des mexikanischen Pavillions — der mit 100.000 verschiedenen Pflanzen als ein ökologisches Zentrum konzipiert ist — ausgestellt werden.
Unklar blieb bislang, ob und auf welcher legalen Grundlage der Kaktus aus dem Lande gebracht wurde, zumal die Umweltgesetze Mexikos, in diesem Falle Baja Californias, spezielle Schutzmaßnahmen zur Erhaltung der biologischen Reserven und Schätze der Natur vorschreiben. Um so erstaunlicher ist es für viele, daß ausgerechnet der Umweltminister Baja Californias, Jorge Pereira, sein Einverständnis zum Abtransport gab. „Der Kaktus ist ein Symbol für das Bild Mexikos im Ausland“, argumentierte Pereira ungeniert und fügte, zur Vervollständigung des Klischees, noch hinzu: „Bei dem Gedanken an Mexiko denken viele an einen Mexikaner, der im Schatten eines Kaktus schläft.“
Nicht geklärt ist überdies, was mit der Riesenpflanze — sollte sie die Reise über den großen Teich und ein Umpflanzen außerhalb ihrer natürlichen Umgebung und ausgerechnet bei den ehemaligen Kolonialherren tatsächlich überleben — nach Beendigung der EXPO 92 im Oktober dieses Jahres geschehen wird. Werden die Mexikaner diesen stummen Zeugen der leidvollen Geschichte des Landes je wiedersehen? Da man— wie überall — natürlich auch in Mexico weiß, was mit denen geschieht, die zu viel gesehen haben, kursieren bereits Gerüchte, daß er als „Geschenk“ der mexikanischen Regierung für das spanische Königspaar seinen Lebensabend in Sevilla verbringen soll.
„Vor 500 Jahren kehrte Christoph Columbus mit Indianern und Papageien nach Spanien zurück“, meinte der mexikanische Dichter und Präsident der „Umweltgruppe der Hundert', Homero Aridjis, in Anspielung auf die in diesem Jahr stattfindenden Feierlichkeiten zur Entdeckung Amerikas, unter deren Zeichen auch die Weltausstellung in Sevilla stehen wird. „Heute, 500 Jahre später, haben wir unsere Mentalität der Kolonialisierten immer noch nicht abgelegt. Nun schicken wir unsere Naturschätze freiwillig in die Erste Welt.“ Sybille Flaschka
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