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Archiv-Artikel

GDL, PKK, AUTONOME ANTIFA – NOSTALGISCHE IMPRESSIONEN VOM 1. MAI Ich hab die alle nicht eingeladen

JURI STERNBURG

Durch finstere Häuserschluchten, der Wind die drei Buchstaben trägt / Allein durch die Hoffnung verbunden / die Masse um Zugabe fleht.“ Diese Zeilen entspringen nicht etwa der Solidaritätsbekundung einer kommunistischen Jugendorganisation mit den aktuellen Streikforderungen der GDL. Auch wenn auf der revolutionären 1.-Mai-Demonstration in Berlin öfter mal der Slogan „GDL, PKK – Autonome Antifa“ zu vernehmen ist, so wäre eine eindeutige Positionierung zugunsten Weselskys doch ein überraschender und realitätsnaher Versuch der linken Splittergruppen, sich mit dem Proletariat zu verbünden. Nein, es handelt sich um den Anfang der kürzlich ausschließlich auf YouTube veröffentlichten ersten Single aus dem kommenden Album „Hurra, die Welt geht unter“ der Kreuzberger Rap-Combo K.I.Z.

„Das Kannibalenlied“ haben die drei Rapper ihre zu Tränen rührende Ode an die Arbeiterlieder Ernst Buschs genannt, und gerade jetzt, wo ich das Lied laut aufgedreht habe und die Kopfhörer aufsetze, um die primitiven Klänge des Myfests (kreischende Teenies, durcheinanderwabernde Beats und klirrende Glasflaschen) nicht ertragen zu müssen, da passt der Titel wie die Faust aufs Auge der hysterisch-lethargischen Besucher. Hieß es bei Georg Büchner „Die Revolution frisst ihre Kinder“, bleibt einem bei diesem polizeilich organisierten „Saufen, Fressen, Drängeln“-Festival nicht viel mehr übrig, als zum billigen Wortwitz zu greifen: „Die Kinder fressen die Revolution“. Bratwurst 3 €, Köfte 4,50 € und warmes Bier sogar schon ab 2 €. Hurra, die Welt geht unter!

„Mecker doch nicht die ganze Zeit“, sagt eine aus unserer Gruppe, sie ist zum ersten Mal hier und hat vorhin gefragt, warum dort so viele Leute mit roten Fahnen stehen würden. „Die haben doch alle ihren Spaß, ist doch schön.“ Im selben Moment nestelt ihr jemand am linken Ärmel herum, während sein Kompagnon das Portemonnaie aus der rechten Hosentasche zieht. Einige Backpfeifen später hat sie ihr Geld wieder und schaut bedröppelt. Ich will nur noch weg und gebe zu: Ich bin alt. Ich bin nostalgisch. Ich bin Lokalpatriot. Ich hab die alle nicht eingeladen. „Wer trinkt für euch den Champagner und kämpft gegen die Tyrannei / Wer hängt nicht mit 31ern und liebt immer noch nicht die Polizei?“, singen K.I.Z. Wenigstens die verstehen mich. Wer ein Datum und eine Anmeldung braucht, um sich volllaufen zu lassen, hat schon verloren.

Wo maßlos in sich hineingestopft wird, um es orts- und zeitnah wieder auszuscheiden, wo die Straßen in Müll versinken und die Kids der Umgebung mit „Myfest Security“-Shirts ruhiggestellt werden, wo Alkohol fließen muss, damit man sich liebhat, da ist kein Platz für Protest, Spontaneität, Individualismus oder Randale. Insofern, Chapeau! Die Grünen mit und ohne Uniform haben ganze Arbeit geleistet. Dass die Auswüchse längst nicht mehr zu kontrollieren sind und das „Kiezfest“ zu einem Oktoberfest für Instagram-Hippies und „Heute schmier ich mir mal Glitzer ins Gesicht und bin voll hedonistisch“-Spießer verkommen ist, hat man zwar inzwischen mitbekommen, aber es gibt bereits Lösungsvorschläge. Man könnte den Bezirk ja einzäunen und Eintritt verlangen. Wir besorgen uns einige Flaschen Crémant und ziehen uns in eine nahe gelegene Wohnung zurück, wo im Laufe des Abends mehr Scheiben zu Bruch gehen werden als auf den Straßen Kreuzbergs. Ach, übrigens. K.I.Z. steht für „Kannibalen in Zivil“. Merkste selber, ne?